
Wie Sie bessere Gespräche und Beziehungen führen, indem Sie Ihre innere Haltung hinterfragen
In bestimmten Situationen, aber auch im Austausch mit bestimmten Menschen laufen wir immer wieder gegen eine Wand und verstehen oft nicht, warum. Bei aller Liebe und trotz aller Argumente landet die Kommunikation immer wieder in derselben Sackgasse. Produktives Diskutieren oder Zusammenarbeiten wird so auf Dauer unmöglich. Da hilft nur eine Haltungsänderung, sagt Kommunikationstrainer René Borbonus.
Paul und Oli sind seit dem ersten Semester Kommilitonen und arbeiten als studentische Hilfskräfte im selben Fachbereich. Mit der Zeit haben sie eine Freundschaft aufgebaut. Lange Zeit gingen sie nach der Uni regelmäßig zusammen essen oder zum Crossfit. Da sie über vieles einer Meinung waren, verliefen diese Gespräche die längste Zeit über harmonisch, und sie vertrauten einander vieles an.
Dann kam die Covid19-Pandemie. Paul zeigte sich von Beginn an als Verfechter des Prinzips Sicherheit und hielt sich stets akribisch an alle Lockdown-Regeln. Oli dagegen machte von Anfang an keinen Hehl daraus, dass er die Einschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen für überzogen hielt. Wo immer es ein Schlupfloch gab, die Bestimmungen zu umgehen, nutzte er es aus.
Binnen Monaten wandelte sich die Freundschaft der beiden in ein Minenfeld. Oli machte sich über Pauls Vorsicht lustig; Paul kritisierte Oli dafür, dass er im Institut jedes Mal sofort die Maske abnahm, wenn die Professorin nicht dabei war. Oli bezichtigte Paul als Faulpelz, wenn der es vorzog, im Homeoffice zu arbeiten; Paul warf Oli vor, mutwillig die Gesundheit des ganzen Instituts aufs Spiel zu setzen. Schließlich schaukelte sich die Auseinandersetzung eines Abends bei einem Bier in der gemeinsamen Lieblingskneipe so weit hoch, dass Paul Oli offen als Verschwörungstheoretiker verurteilte, während Oli Paul als Mitläufer betitelte.
Seitdem sind nicht nur die privaten Treffen Geschichte; auch ihre Zusammenarbeit in der Uni hat massiv gelitten, obwohl sie im selben Team sind. Das ganze Forschungsprojekt leidet unter der Gesprächsblockade. Die Professorin droht mit Konsequenzen. Vor allem aber steht eine Freundschaft auf dem Spiel.
Lernende vs. urteilende Haltung
Vielen Freunden, Kollegen und sogar Familien ist es im Zuge der Covid19-Pandemie so ergangen wie den beiden, und keine dieser Beziehungen muss verloren sein. Dasselbe gilt für Auseinandersetzungen über Klimafragen, den Ukraine-Krieg oder jedes andere kontroverse Thema.
Ein Theoriemodell, das bei der Versöhnung diskursiver Polaritäten sehr hilfreich ist, ist das sogenannte „Learner-Judger Mindset Model“ der US-amerikanischen Psychologin Marilee G. Adams. Es geht davon aus, dass jeder Mensch zwei diskursive Mindsets bzw. Haltungen in sich trägt, die zu unterschiedlichen Verhaltensweisen im Gespräch führen: die Lernende („Learner“) Haltung und die urteilende („Judger“) Haltung.
Aus evolutionären Gründen tragen wir beide Haltungen in uns und werden beide unser ganzes Leben lang beibehalten. Die urteilende Haltung geht vor allem auf unseren Überlebensinstinkt zurück: Unsere Vorfahren mussten blitzschnell zwischen Freund und Feind entscheiden und waren auf ein schnelles Urteilsvermögen angewiesen. Die lernende Haltung ist ein Produkt unserer Neugier und unseres Forscherdrangs.
Grundsätzlich schwankt jeder Mensch mit individuell unterschiedlicher Frequenz und Intensität zwischen den beiden Haltungen. Entscheidend für das Verhalten in einer bestimmten Situation ist, wie wir aufgrund unserer aktuellen Haltung innerlich mit den Aussagen des Gegenübers umgehen, also: Welche Fragen wir uns selbst über die Gesprächsinhalte und die Motivation der anderen Person stellen.
Die richtigen Fragen lösen jede Gesprächsblockade
Solange wir in der urteilenden Haltung bleiben, stellen wir uns innerlich bestimmte Arten von Fragen, während wir die Situation und die Beziehung zu verstehen und für uns zu bewältigen versuchen. Diese Fragen sind aber ganz und gar nicht geeignet, um die Situation aufzulösen, sondern führen uns vielmehr nur noch tiefer in die Urteilsspirale hinein.
So mag Paul sich in seiner festgefahrenen Meinung über Oli und seine Position in der Corona-Debatte zum Beispiel folgende Fragen stellen:
- Wie kann er nur an diesen Verschwörungskram glauben?
- Warum diskutiere ich überhaupt mit ihm, wenn er die Fakten ignoriert?
- Warum macht er mit seiner Verantwortungslosigkeit unsere Freundschaft kaputt?
Erkennt Paul nun, dass er sich in der urteilenden Haltung befindet, und wechselt bewusst in die lernende Haltung, könnten folgende Fragen ihn zu einer anderen Sichtweise auf die Positionen seines Freundes und damit zu einer gezielt herbeigeführten Verständigung führen:
- Wie ist mein Freund zu dieser Meinung gekommen?
- Was wünsche ich mir für ihn und für unsere Freundschaft?
- Welche Annahmen treffe ich über seine Meinung, ohne die Hintergründe zu kennen?
Eine lernende Haltung einnehmen: 3 Impulse für den Umschwung
Wann immer Sie feststellen, dass ein Gespräch den konstruktiven Pfad verlassen hat oder eine Beziehung sich auseinanderentwickelt, halten Sie inne und klären Sie die Situation neu, um Ihr Gesprächsverhalten ändern zu können:
- Impuls 1: Überprüfen Sie Ihre eigene Haltung in diesem konkreten Moment bzw. rückblickend auf einen Dialog: lernend oder urteilend?
- Impuls 2: Unterbrechen Sie die innere Urteilsspirale und stellen Sie sich klärende Fragen, die auf Verständnis und Lösung zielen.
- Impuls 3: Unterbinden Sie abwertende und trennende Verhaltensweisen im Dialog und beginnen Sie, die Haltung des anderen zu ergründen.
Kommen Sie gut an!
Ihr René Borbonus