Unser Gehirn in der Krise
– sind Sie auch oft müde und hungrig?
Wir stehen durch die Corona-Pandemie vor neuen Herausforderungen. Manche fühlen sich hilflos, haben Angst um ihre Gesundheit, Zukunft oder sind einfach genervt von den Einschränkungen. In extremen Situationen treten alte evolutive Muster auf, die Flucht, Angriff oder Starre auslösen. Unser Gehirn soll raus aus diesen Mustern. Leichter gesagt als getan. Kreative Lösungen müssen her, um unseren Alltag neu zu gestalten. Kreativität funktioniert leider selten auf Knopfdruck. Vielleicht kennen Sie das auch, Ihr Professor fordert Sie spontan in der Vorlesung auf, eine kreative Lösung zu finden. Fühlt sich so an, als wäre das Gehirn auf einem Spaziergang, und kaum sitzen wir abends gemütlich auf der Couch, fallen uns die Antworten ein. Für Kreativität braucht unser Gehirn ein entsprechendes Umfeld.
Es gibt momentan viele Veränderungen in unserem Alltag. Ob der Aushilfsjob im Café an der Ecke betroffen ist, das Studium selbst, das im Moment vorrangig digital stattfindet, oder der Weg zur Uni mit dem Rad, der jetzt wegfällt. Diese Gewohnheiten waren der Moment, in dem sich unser Gehirn eine Pause gegönnt hat. Solche Erholungsphasen für unser Gehirn durch Routinen fallen gerade weg. So bekommt unser Gehirn die Auswirkungen der Pandemie zu spüren. Es arbeitet auf Hochtouren.
Ein kurzer Ausflug, in die Welt der Biologie.
Unser Gehirn ist ein echter Energiefresser. Warum verbraucht unser Gehirn so viel Energie und wie nehmen Gewohnheiten, auf den Energieverbrauch Einfluss? In der Biologie gilt normalerweise folgende Faustregel: Je größer ein Organ ist, umso höher ist sein Energieverbrauch. Die Ausnahme ist unser Gehirn, das, obwohl es nur 2 % unseres Körpergewichts ausmacht, 20 % der Energie verbraucht. Ein Grund, warum unser Gehirn so viel Energie verbraucht, liegt darin, dass es immer aktiv ist. Ein weiterer Grund liegt darin, dass neuronale Aktivität „teuer“ ist. Suzana Herculano-Houzel, Professorin für Neurowissenschaften an der Universität in Tennessee (Texas), ermittelt, dass unser Hirn mit 86 Milliarden Neuronen im Schnitt 516 Kilokalorien pro Tag verbraucht. Höhere Hirnleistungen kosten eine Extraportion Energie. Kennen Sie das auch, unbändige Lust auf Schokolade, wenn man für die nächste Prüfung lernt. Unser Hirn sagt: Hunger. Auch wenn aus biologischer Sicht, Schokolade umstritten ist, glaube ich persönlich fest daran, Schokolade hilft immer.
Zurück zu den Gewohnheiten: Haben Sie sich auch schon gefragt, was das mit diesen Morgen- oder Abend-Routinen auf sich hat, und warum gerade jetzt jeder davon spricht?
Wir mussten uns von Gewohnheiten verabschieden. Das Gute ist, wir können Neues wieder zu einer Gewohnheit werden lassen. Die Routine ist für unser Gehirn wichtig, um Energie zu sparen. Das sagt auch Lars Schwabe, der als Kognitionspsychologe an der Universität Hamburg forscht.
Früh hat sich aus evolutiver Sicht eine Struktur gebildet, in der Gewohnheiten und Automatismen gespeichert werden. Stellen Sie sich vor, wir müssten, sobald wir aufs Fahrrad steigen, überlegen, ob wir zuerst das linke oder das rechte Pedal treten, beim Autofahren, wie wir bremsen und kuppeln. Gewohnheiten sind wichtig, um unser Gehirn nicht zu überfordern. Sie werden in einem Verband aus Nervenzellen gespeichert, den Basalganglien. Routinen wie Auto- oder Radfahren werden mühelos beherrscht, weil sie nach dem Lernprozess von unserem Gehirn in den Basalganglien als Routinen gespeichert wurden. Jetzt braucht es nur noch einen Auslöser und das Programm kann abgespult werden. Energiesparmodus! Endlich Kraft fürs Denken. Das findet im Frontalkortex statt, der Teil unseres Gehirns, der für bewusstes Denken verantwortlich ist. Ist der Frontalkortex eingeschaltet, verbraucht unser Gehirn Energie wie ein Hochleistungssportler. Das Gute ist, unser Gehirn kann trainiert werden, durch Wiederholungen wird Neues zur Gewohnheit. Während die Routine abläuft, wird Arbeitsspeicher für Neues frei. Morgen- und Abend-Routinen liegen gerade im Trend, weil wir unserem Gehirn in dieser Zeit eine Pause gönnen. Neue Gewohnheiten zu entwickeln, braucht Wiederholungen und kostet unser Gehirn Energie, bevor der Energiesparmodus einsetzt. Was heißt, das für uns in dieser Zeit: Müde, Hunger, Durst!
Schlaf ist für die Erholung des Gehirns entscheidend.
Nicht benötigte Verbindungen werden geschwächt und relevante Verbindungen gestärkt. Das heißt, während des Schlafs können alte, nicht mehr genutzte Gewohnheiten gelöscht und neue Gewohnheiten gespeichert werden. Als berechnendes Organ ist die Controlling-Einheit des Gehirns stets darauf bedacht, (kosten-)effizient zu arbeiten. Die Schlafqualität ist entscheidend, um dem Gehirn zu ermöglichen, diese neuen Verbindungen herzustellen. Die Pandemie beinhaltet für uns einen stetigen Veränderungsprozess. Fazit: Wir brauchen guten Schlaf.
Guter Schlaf ist wichtig, um unserem Gehirn die Kapazitäten zu geben, Neues zu entdecken. Es ist nicht nur wichtig, neue Gewohnheiten zu entdecken und zu etablieren, sondern auch alte Gewohnheiten, die schön und möglich sind, zu halten, zum Beispiel, Morgen- und Abend-Routinen, die Sie als angenehm empfinden. Kleine Dinge können eine schöne Gewohnheit sein, den Lieblingstee aus der Lieblingstasse zu trinken, bevor Sie ins Bett gehen, der Morgenspaziergang im Wald, Samstag von Ihrem Lieblingsrestaurant Essen bestellen, ein Gericht aus der Kindheit kochen, mit dem Sie positive Gefühle verbinden, und vieles mehr. Schaffen Sie sich Ihre eigenen, schönen Gewohnheiten, so bleibt Ihnen wieder mehr Energie für Kreativität. „Survival oft he fittest“ nach Darwin bedeutet nicht unbedingt, das Überleben des Stärkeren, sondern des Anpassungsfähigsten. Nutzen Sie Ihre gewonnenen Ressourcen, um sich Ihre Nische selbst zu gestalten.
Ach ja, Veränderungen machen müde und hungrig: Vergessen Sie das Nickerchen nicht, und gönnen Sie sich etwas Leckeres zu Essen.