Kurz durchatmen und dann weg damit
Wie richtiges Aufräumen das Studieren und Leben verändern kann.
Auf dem Boden stapeln sich Papierberge, über dem Stuhl türmen sich Klamotten, die Regale sind vollgestopft und im Bad fallen dir angebrochene Pröbchen entgegen, wenn Du den Schrank aufmachst? Wenn Du Dich davon nicht beeinträchtigt oder gebremst fühlst: Herzlichen Glückwunsch, dann lass es so. Vielen Menschen aber geht das Chaos insgeheim auf den Wecker. Einige merken schon gar nicht mehr, dass ihre Aufschieberitis, ihre Ziellosigkeit und ihr Stress etwas mit der äußeren Unordnung zu tun haben, die auch jede innere Klarheit verhindert.
Aufräumen kann das Leben verändern. Aber es muss richtig geschehen. Das sagt die Japanerin und Ordnungs-Fanatikerin Marie Kondo in ihrem Buch „Magic Cleaning“, das wir allerwärmstes empfehlen.
Die wenigsten haben Aufräumen gelernt
„Erst einmal aufräumen“. Der Gedanke kommt Dir bekannt vor, wenn Du eigentlich für die Statistik-Klausur lernen musst? Was wäre, wenn es schon aufgeräumt ist und sich dieser Zustand dank der richtigen Methode auch nicht wesentlich verändert? Welche Energien, Ideen und Entscheidungen werden in Dir freigesetzt, wenn Du nicht mehr „erst einmal aufräumen“ musst? Ein spannendes Experiment.
Das Problem: Richtig aufräumen haben die wenigsten gelernt. Und die Erinnerungen an wütende Elternteile, die tadelnd im Türrahmen des Kinderzimmers stehen, weil es schon wieder aussieht wie bei Hempels unterm Sofa, machen das Aufräumen nicht zu dem Fest, das es nach Marie Kondo eigentlich sein könnte. Es ist lästig und die reinste Sisyphos-Arbeit!
Erst Ausmisten, dann aufräumen
Das muss nicht sein, wenn man dem entscheidenden Prinzip der ausgefuchsten Japanerin folgt: Erst wegwerfen, dann aufräumen. Richtig aufräumen bedeutet aber nicht, all die Dinge, die wir nicht brauchen und die uns nicht glücklich machen, in Schubladen unsichtbar zu machen. Die meisten von uns belasten sich mit zu viel Zeug, oft eine Folge von fragwürdigen Glaubenssätzen. Geschenke muss man behalten. Bücher darf man nicht wegwerfen. Was man eines Tages gebrauchen könnte, das behält man am besten. Solche Haltungen zu hinterfragen, kann der erste Befreiungsschlag auf dem Weg zu einem schönen Zuhause sein, das einen dabei unterstützt, klarer und effizienter zu arbeiten und zu studieren und vor allem: sich wohler zu fühlen.
Der zweite wichtige Grundsatz, der sich von gängigen Ordnungstipps deutlich abhebt: Keine Räume oder Schränke aufräumen, sondern Dinge. Und zwar fein säuberlich nach Kategorien geordnet. Erst kommen die Klamotten dran, dann Papierkram, Bücher und zum Schluss persönliche Gegenstände und Erinnerungsstücke. Wir zerren die Dinge aus allen Ecken, wo sie lauern, werfen sie auf einen Haufen und dann geht es los. Nacheinander. Kategorie pro Kategorie.
Macht es dich glücklich?
Bei Marie Kondo klingt es etwas esoterisch, sie rät aber trotzdem eindringlich dazu, es auf diese Weise zu probieren: Nimm jedes Teil, und zwar wirklich jedes einzelne Teil in die Hand, halte kurz inne und frage dich: Macht mich das glücklich? Falls nein: Weg damit. Weil diese Entscheidung gar nicht so leicht zu treffen ist, rät Marie Kondo dazu, die Kategorien in einer bestimmten Reihenfolge abzuhaken, um in Übung zu kommen. Am leichtesten ist es, mit den Klamotten zu beginnen. Wenn auf diese Weise ein bis zwei Drittel Deiner Kleidung wegfallen, wäre das kein Wunder. Wie viele schlecht sitzende Hosen ziehst Du doch nie an? Wie gerne trägst du das T-Shirt, dessen Farbe dir nicht so ganz steht? Es ist radikal, das alles wegzugeben (an Bedürftige zum Beispiel). Aber Du hast es verdient, Sachen zu tragen, die du magst und die dich besonders gut aussehen lassen. Vorteil: Einmal vor Augen geführt, wie viele Klamotten Du doch nie oder nicht gerne angezogen hast, wirst Du auch in Zukunft lieber schöne Lieblingsstücke von guter Qualität kaufen und dabei eine Menge Geld sparen.
Konsum neu denken
Auch die anderen Kategorien von Dingen kannst du dir nach diesem Prinzip vornehmen. Dazu ist es vielleicht nötig, sich von seinen gewohnten Urteilen zu lösen. „Das kann nicht weg!“. Wirklich? So wandern nach dem Nachdenken oder besser gesagt „Nachfühlen“ vielleicht alte Uni-Skripte und Lehrbücher in den Müll, von denen wir einfach gewohnheitsmäßig dachten, sie müssten aufgehoben werden. Auch hier wirst du vielleicht ein besseres Gefühl für dein zukünftiges Konsumverhalten bekommen. Was also erst nach einem Auswuchs der Wegwerfgesellschaft klingt, kann unser Kaufverhalten und unsere Wünsche nach Dingen vielleicht nachhaltig verändern.
Mit solchen und anderen Tipps wirbelt Kondo alles auf, was wir über Aufräumen und gute Ordnung zu wissen glaubten. Wir brauchen dazu keine vorgefertigten Ordnungssysteme mit ausgeklügelten Boxen, Heftern und Fächern. Sondern erst einmal ein paar Müllsäcke. Richtig viele Müllsäcke.
Zum Schluss: der feste Platz
Es gibt Menschen, die können sich leicht von unnützen Dingen trennen. Diese leichtmütigen Wegwerfer sind aber noch lange keine aufgeräumten Zeitgenossen. Denn wenn maximal der Haustürschlüssel einen festen Platz hat und sonst nichts, ist auch mit dem reduzierten Bestand bald wieder der Teufel los. Der unerlässliche Schritt ist demnach: Alles muss einen festen Platz bekommen. Und zwar wirklich alles. Da wir, wenn wir vom Werkstoffhof und der Altkleidersammlung zurückgekommen sind, im Idealfall nur noch von nötigen oder heiß geliebten Dingen umgeben sind, ist die Bestimmung eines festen Platzes gar nicht mehr die Mammutaufgabe, nach der sie klingt.
Richtiges Aufräumen ist kein herzloses Wegwerfen. Es ist genau anders herum: Die Dinge bekommen die Aufmerksamkeit, die sie brauchen. Wir werden bewusster damit und dankbarer für ihre Existenz. Wir haben nicht nur mehr Zeit zum Studieren, Arbeiten, Leben. Sondern auch mehr schönen Platz, der neuen Entwicklungen Raum gibt. „Wer bin ich heute? Statt: Wer war ich gestern?“