Sei nicht authentisch!
Sei Authentisch! Das fördert die Karriere. Scharen von Personalverantwortlichen sind damit in die Irre geführt worden. Zahllose Trainer verkaufen das Authentische als Rezept, als „authentisch führen“ oder „authentische Strategie“. Alle Erfahrungen sagen: Das Authentische funktioniert nicht, sobald man den Seminarraum erst einmal verlassen hat. Letzten Endes tun ausnahmslos alle das Gegenteil dessen, was sie dort gelernt haben. „Authentisch arbeiten“ ist ein schlechter Witz, denn wir können allenfalls nur so arbeiten, dass wir uns authentisch dabei fühlen – oder so wahrgenommen werden. Dies ist der Normalfall in funktionierenden Organisationen. Wenn wir in ihnen etwas erreichen wollen, müssen wir im richtigen Film spielen.
Entscheiden Sie,
wie Sie sein wollen!
Das Innerste ist der wahre Gral. Der Kern ist eine wunderbare Metapher, aber sie führt in die Irre. Denn wir alle sind eine Schnittmenge aus allem, zu dem wir in Beziehung stehen oder standen. Es gibt keinen immer gleichen Kern. Aber es gibt Wiederkehrendes, das zum Authentischen des Einzelnen gehört:
- Jemand spielt seinen Film mit markanten Eigenarten. Man erkennt ihn darin wieder („Typisch Peter!“).
- Verschiedene Personen füllen einen Part sehr verschieden aus, weil sie ihn mit verschiedenen Verhaltensweisen und Redestilen umsetzen („Der Claudia haben sie das besser abgenommen als der Kirsten.“).
- Die anderen haben eine Vorstellung, welchen Part jemand glaubhaft verkörpern könnte („Das würde zu ihm passen.“).
Allenfalls diese drei Phänomene könnte man „authentisch“ nennen. Es ist das Authentische auf der ersten Stufe.
Zivilisiertheit, sagt Richard Sennetts berühmter Satz, bedeutet: den Anderen nicht mit seiner Authentizität zu belästigen. Niemand von uns will ernstlich dem puren Authentischen und dessen Eigenarten ausgeliefert sein. Das gilt auch umgekehrt. Niemand von uns sollte sich den anderen jederzeit pur zumuten. Das Authentische wird oft genug problematisch.
Das können wir jeden Tag beobachten:
- Wenn jemand unerwünschte Einblicke in sein Inneres gibt, die peinlich sind oder ihm oder anderen größte Probleme bereiten.
- Wenn jemand die Konventionen verletzt, weil er „nicht anders kann“. Authentizität ist manchmal die Nichtbeachtung von Regeln.
Der Chef, der schlecht über andere redet, derjenige, der sich nicht im Griff hat, wer in Gegenwart eines Kunden eine andere Abteilung madig macht: Sie alle sind nicht im Film; sie sind allzu authentisch. Situativ oder habituell.
Am Ende ist der „Erfolgsfaktor Authentizität“ gar keiner. Nehmen wir alles zusammen, dann ist gerade nicht diejenige „Erfolgsstrategie“ erfolgreich, die authentisch ist und sonst nichts. Wirklich erfolgreich sind die, die eher nicht allzu authentisch sind. War die Kanzlerin authentisch? War es ihr Herausforderer? Wenn man beide vergleicht, sieht man: Eine der beiden Figuren war authentisch, die andere hat gewonnen. Entscheiden Sie, wie Sie sein wollen!
Das ist das Paradox: Vieles, das authentisch sein soll, ist es gerade nicht. Behauptet wird: „Sei wie Du bist!“, gemeint ist am Ende: „Sei wie Du wahrgenommen werden willst!“ Bitte nicht falsch verstehen: Das ist ein ehrbares Anliegen. Die Kunst guter Fälschung besteht darin, den Betrachter nichts vermissen zu lassen. Wenn das gelingt, ist der Anschein des Authentischen gelegentlich besser als das Originale.