Voluntourismus:
Mal eben kurz die Welt retten
Wie kann studentische Hilfe in Entwicklungsländern aussehen?
Kaum ein Lebensabschnitt bietet durch die regelmäßigen Semesterferien so viel Flexibilität für ehrenamtliche Einsätze wie das Studium. Hinzu kommt die Power des jungen Idealismus, der gerade Schulabgänger und Studenten in die weite Welt hinaus zieht, um im besten Gewissen Gutes zu tun. Zahlreiche Anbieter vermitteln Einsätze im Ausland, die eine wunderschöne Reise mit einem Hilfseinsatz verbinden sollen. Was gut klingt, muss jedoch nicht wirklich hilfreich sein oder schlimmer noch: Der Blick auf Entwicklungsländer kann kolonialistisch bleiben, wenn ehrenamtliche Hilfe nicht auf die richtige Weise geschieht. Die auf nachhaltige Studienfinanzierung spezialisierte Deutsche Bildung hat mit Hilfe von Klaus Fasold, Initiator der Keep the World Foundation, einen kritischen Blick auf den so genannten Voluntourismus geworfen.
Volu-was?
Voluntourismus, was soll das überhaupt sein? Es ist eine Wortkombination aus dem englischen Begriff Freiwilligenarbeit („volunteering“) und Tourismus. Auch Studenten nutzen dieses Format, um in den Semesterferien Gutes in Entwicklungsländern zu tun. Ein absolut lobenswertes Vorhaben und unter Garantie gut gemeint – umso wichtiger ist es, das Engagement aber auch kritisch zu hinterfragen.
Vorab: Freiwilligeneinsätze sind natürlich nicht per se falsch. Aktivitäten unter dem Stichwort Voluntourismus können ein Weg sein, der nicht nur Wahrnehmung und Handlung zusammenführt, sondern in der Regel auch eine neue Sichtweise vermittelt.
Das kann ein Praktikum in der Drogenberatung sein, im Behindertenwohnheim, im Hospiz - oder warum nicht in einer Slumschule in Bangladesh? „Es geht darum, möglicherweise Dinge zu sehen und zu erleben, die einen für den Rest des Lebens prägen“, sagt Fasold.
Was ist meine Motivation, zu helfen?
Es gibt jedoch kritische Aspekte, die man einfach mal gehört haben sollte, um sich dann ein eigenes Urteil zu bilden. So kann die eigentlich gute Absicht, helfen zu wollen, in manchen Regionen auch als überheblich wahrgenommen werden und ein bestimmtes, auch von Vorurteilen geprägtes Bild über die „Hilfsbedürftigen“ noch verstärken. Fasold spricht von einer kolonialistischen Denkweise, die sich hinter den Charity-Absichten verbergen kann. Diese innere Haltung gilt es, ganz selbstkritisch und ohne Angst vor dem, was man dabei vielleicht in sich entdeckt, zu überprüfen. Statt mal eben kurz die Welt retten zu wollen, ist es wichtiger, sich tief mit der Perspektive des jeweiligen Landes auseinanderzusetzen und zuzuhören, was die tatsächlichen, konkreten Probleme und Herausforderungen der Bevölkerung sind. Nichts geht deshalb über gutes Hintergrundwissen und eigene Recherchen, bevor man sich einem ganz bestimmten Hilfsprogramm anvertraut.
Kritisch hinterfragen
- Hand aufs Herz: Was ist meine genaue Motivation, einen Freiwilligen-Einsatz in einem Entwicklungsland zu machen?
- Passt das zu den Bedürfnissen der Menschen im Zielland?
- Habe ich genügend Hintergrundinformationen dazu gesammelt und mich in andere Perspektiven versetzt?
- Ist die Reise-Agentur seriös? Was schreiben Medien und Erfahrungsberichte darüber?
Kritisch überprüfen sollte man auch die einzelnen Anbieter. Für sie ist die Kombination aus Freiwilligeneinsatz und Reise auch Business-Modell und Einnahmequelle. Wie viel Geld wird für die Reisekosten und die Vermittlung veranschlagt, wie viel Geld oder konkrete Hilfe kommt bei den Zielprojekten dann tatsächlich an? Im allerschlimmsten Fall werden zum Beispiel Kinder in Waisenhäusern regelrecht vorgeführt oder die Spenden kommen ausschließlich beim Betreiber an. Berichte von Freiwilligen-Erfahrungen im Internet decken solche Missstände oftmals auf und können die Suche nach einem guten Projekt erleichtern.
Fällt die Entscheidung für den Freiwilligen-Einsatz, helfen folgende Überlegungen:
- Für welches Land schlägt mein Herz? Welche Region interessiert mich besonders?
- Welches Thema liegt mir dabei besonders gut, möchte ich eher Bildungsprojekte, ökologische oder kulturelle Projekte unterstützen?
- Muss es eine große Organisation sein? Gibt es vielleicht auch kleinere Projekte, in denen ich viel direkt bewirken kann?
Eine interessante Überlegung ist manchmal, was das Geld für die Reise aber auch ganz direkt bewirken könnte. Klaus Fasold gibt ein Beispiel: „Der Betrieb einer Vorschule in Bangladesch kostet ungefähr 1.500 Euro pro Jahr.“ Das ist weniger als das, was viele Freiwillige allein für den Flug und die Vermittlungsgebühren der Reiseanbieter ausgeben. Nach dem Motto „Think global, act local“ können viele Studenten außerdem stolz darauf sein, sich bereits im näheren Umfeld zu engagieren und auch von Deutschland aus etwas zu bewegen.