Stelle dir vor, du steigst nach deinem Studium als Projektmanager in der Entwicklungsabteilung eines internationalen Konzerns ein. Dein erstes Thema ist eine Vorstudie für die Einführung eines Online-Tools zur Verwaltung von Messdaten in der Cloud. Das Tool ist notwendig, denn aktuell existieren mehr als 20 lokale Excel-Listen. Nicht verwunderlich, dass Frustration bei den Mitarbeitenden besteht, weil niemand den aktuellen Stand kennt. Modernes Arbeiten sieht anders aus. Doch du buhlst mit anderen Projekten im Lenkungskreis um die Budgets. Also musst du mit deinem Thema herausstechen. Überzeugen. Aufmerksamkeit wecken. Du brauchst das Budget. Und du weißt, dass jeder dort mit öden Zahlen, Daten und Fakten um die Ecke kommen wird. Was kannst du tun? Ganz einfach: Erzähle dein Projekt als Geschichte!
Geschichten verbinden, bringen Menschen zusammen und transportieren Erfahrungen. Die Neurowissenschaft zeigt, dass unser Gehirn keinen Unterschied macht zwischen dem, was wir selbst erleben, und den Dingen, die wir aus Geschichten erfahren. Ob wir Kaffee riechen, oder nur davon lesen: Im Gehirn wird die gleiche Reaktion ausgelöst. Geschichten sind eine wunderbare Art zu überzeugen, ohne jemandem seine Meinung aufzudrängen. Wir können dem Gegenüber ein Gefühl davon geben, wie es sein würde, wenn man sich für etwas entscheidet. (Pyczak, 2019, S. 16ff.).
Die Bausteine jeder guten Geschichte sind oft dieselben: Es braucht einen Helden, einen Konflikt und einen Grund, warum die Geschichte erzählt wird. Der Held ist jemand, mit dem wir uns identifizieren können – wir möchten dessen Werte teilen (z.B. Batman). Vielleicht gibt es auch noch einen Gegenspieler (z.B. den Joker) und gerne auch einen Mentor oder Unterstützer (z.B. Robin). In unserem Projektbeispiel heißt die Heldin „Melanie“. Sie ist 28 Jahre alt, hat an der Technischen Universität Aachen Wirtschaftsingenieurwesen studiert und arbeitet seit einigen Monaten bei dem besagten internationalen Konzern in der Entwicklung.
Nachdem die Heldin feststeht, wenden wir die Storyboard-Methodik zur Entwicklung der Geschichte an. Sie hat sich in meiner Tätigkeit als Beraterin bewährt. Damit lassen sich nicht nur Projektgeschichten entwickeln, sondern auch Vorträge oder Präsentationen gliedern. Sie beinhaltet sechs Bausteine:
Vision
Zuerst stellen wir uns die Frage: Warum möchten wir das Projekt machen? Was sind der Zweck und unsere Motivation? Welche Implikation ergibt sich auf verschiedenen Ebenen? Melanie hat eine sehr große Leidenschaft für die Entwicklung und ist hochmotiviert, innovative Produkte zu entwickeln. Ihre Vision: hochmoderne Tools nutzen, Daten analysieren und so das Produkt von morgen mitzugestalten.
Situation
Im zweiten Schritt wird die Situation wertfrei und objektiv beschrieben. Das ist nicht so leicht, weil wir uns oft dabei ertappen, direkt in Herausforderungen oder Problemen (und Lösungen) zu denken, oder auch Auswirkungen zu beschreiben. Wertfrei sind Sätze wie: „Ich mache Tätigkeit XY“, „Ich bin zuständig für“, „Ich kümmere mich um“. Melanie koordiniert die Daten der Entwicklungsabteilungen. Jeder arbeitet in verschiedenen Excel-Listen. Es gibt sehr viele Versionen und kein einheitliches Vorgehen.
Herausforderung
Bei der Beschreibung der Herausforderungen betrachten wir das Thema nicht mehr wertfrei, sondern integrieren die negative Komponente. Wir beschreiben die Probleme auf mehreren Ebenen. Welche Herausforderungen ergeben sich für das Unternehmen, für die Abteilung oder für Melanie in ihrer Tätigkeit? Dabei stellen wir uns folgende Fragen: Welche Probleme resultieren aus der Situation aktuell? Welche Probleme sind zukünftig zu erwarten? Melanie erhält täglich eine hohe Anzahl an E-Mails mit Daten und Informationen. Es kostet sie sehr viel Zeit und hohen Aufwand, diese in die Excel-Listen zu übertragen.
Auswirkung
Im nächsten Schritt überlegen wir, welche Auswirkungen das Problem haben kann – ebenfalls auf verschiedenen Ebenen. Und hier dürfen wir noch emotionaler werden. Denn wir erinnern uns, dass wir mit Geschichten dann erfolgreich sind, wenn wir die Menschen emotional erreichen. In Melanies Fall sind eine fristgerechte Bearbeitung und die Einhaltung der Zeitpläne Auswirkungen.
Melanie ist frustriert, sie hat sich die Arbeit effizienter und moderner vorgestellt. Ihre Motivation sinkt und sie verliert zunehmend den Spaß an der Arbeit. Sie denkt sogar über Kündigung nach. Und Melanie ist nicht die einzige Ingenieurin in der Entwicklung, die so empfindet.
Lösung
Jetzt kommen wir zum Wendepunkt der Geschichte, indem wir die Lösung präsentieren. Sie beschreibt eine neue Arbeitsweise, neue Prozesse, neue Tools, neue Dienstleistungen oder neue Ideen. Melanie will die Situation aktiv verbessern. Sie schlägt die Nutzung eines neuen Online-Tools vor. Damit lässt sich gemeinschaftlich an der gleichen Datei arbeiten. Sie erstellt einen Business Plan mit einer klaren Zielsetzung, einer Handlungsempfehlung, benötigten Ressourcen und einem Zeitplan zur Umsetzung. Hier sind die Zahlen, Daten, Fakten nun geschickt verpackt.
Ergebnis
Jetzt wird das Ziel im Detail beschrieben und letztlich wieder der Bogen zur Vision gespannt. Ziele können sein: Freigaben von Budgets, Motivation & Zufriedenheit oder auch ein gemeinsames Vorgehen. Durch die Einführung des neuen Tools gibt es mehrere Gewinner und positive Effekte: Das Unternehmen spart mehr Zeit und Geld, als das Tool in der Anschaffung und im Betrieb kostet. Melanie und ihre Kollegen können besser zusammenarbeiten und den Wissensaustausch fördern. Melanie persönlich ist wieder hochmotiviert, ihr macht die Arbeit Spaß. Sie will nicht mehr kündigen, sondern gemeinsam mit dem Unternehmen wachsen.
Was genau bewirkt Melanies Geschichte beim Zuhörer? Das neutrale Projekt, Thema oder Produkt wird mit einem impliziten Sinn verknüpft und für die Zielgruppe emotional aufgeladen. Das Publikum konsumiert die Story nicht nur durch Zuhören, Lesen oder Anschauen, sondern kann sich aktiv in die Situation hineinversetzen. Eine lebendige Geschichte gewinnt die Aufmerksamkeit anderer Menschen leichter als eine reine logisch-sachliche Darlegung von Fakten. Geschichten sind also auch für Fachexperten geeignet, denn mit Storytelling werden komplexe Sachverhalte nachvollziehbar vermittelt.
Und was macht eigentlich unser Projektmanager? Er hat Melanies Geschichte in seinem Steuerkreis vor dem Vorstand erzählt. Als Einziger hat er das volle Projektbudget erhalten. Auch Monate später ist der Name Melanie den Führungskräften im Gedächtnis geblieben und sie wissen, worum es in dem Projekt geht.
Wir merken uns: Die tollste Geschichte bringt nichts, wenn sie niemand kennt. Vermarkte sie strategisch über mehrere Kanäle. Nach dem Motto: „Tue Gutes und sprich darüber.“ Storytelling ist ein wertvolles Element der strategischen Kommunikation. Wir können das Commitment des Managements beeinflussen, die Bereitschaft zur Veränderung fördern und unsere Zielgruppen emotional abholen und einbinden. Worauf also warten: Erzähle deine Geschichte!
Quellen:
Pyczak, Thomas (2019): Tell me!
Wie Sie mit Storytelling überzeugen.
Zweite, erweiterte Auflage, Frankfurt am Main.