Voll im Flow
Nicht unterfordert, nicht überfordert, einfach voll im Element des eigenen Könnens: Das nennt man Flow. Die Welt um einen herum verschwindet, die ganze Aufmerksamkeit richtet sich auf den Moment. Langeweile? Stress? Fehlanzeige, denn zum Nachdenken und Bewerten ist im Flow kein Platz. So geht es zum Beispiel Extrembergsteigern, die im vollen Vertrauen zu ihren Fähigkeiten die Eiger-Nordwand erklimmen und dabei alle Konzentration brauchen, die sich für das Hier und Jetzt mobilisieren lässt. Sie wissen, dass ein Fehler verhängnisvoll wäre. Aber sie wissen auch, dass sie es drauf haben. Mehr Flow geht kaum und so berichten Extrembergsteiger immer wieder von enormen Glücksgefühlen. Ein Prinzip, das man sich beim Lernen oder Arbeiten zu Nutze machen kann.
(Ueli Steck, Extrembergsteiger)
Entwickler der Flow-Theorie war der Psychologe mit dem komplizierten Namen Mihály Csíkszentmihályi (Tschik-sent-mi-ha-li). Sie wurde im Hinblick auf Risikosportarten entwickelt, wird heute aber auch auf geistige Zustände übertragen. Die magische Flow-Zone liegt dabei im Mittelfeld zwischen Überforderung (Angst) und Unterforderung (Langeweile). Hohe Anforderungen in Kombination mit stark ausgeprägten Fähigkeiten versprechen das größte Glück. Oder wie der Bergsteiger Ueli Steck beschreibt: Kommt die Angst, ist auch das Erreichen des Ziels in Gefahr.
Was führt aus psychologischer Sicht zum Flow? Die Aufgabe oder Tätigkeit muss zum einen ein klares Ziel haben. Idealerweise gibt es auch ein unmittelbares Feedback zum Erfolg oder aber die Tätigkeit verfolgt einen klaren Selbstzweck, zum Beispiel das Musizieren. Zum Flow gehört auch die Fähigkeit, sich voll und ganz auf eine Sache zu konzentrieren. Wer im Flow sein will, muss außerdem ein Gefühl von Kontrolle über seine Aktivitäten haben. Schließlich stellt sich ein Gefühl von Mühelosigkeit ein, die kreisenden Sorgen um sich selbst lösen sich auf. Wer im Flow ist, verliert häufig auch das Zeitgefühl, Handlung und Bewusstsein verschmelzen zu einer effizienten Einheit. Csíkszentmihályi bezeichnet den Flow auch als „positive Sucht“.
Im Gegensatz zum kurzfristigen Kick, den zum Beispiel eine Achterbahnfahrt oder ein Fallschirmsprung erzeugt, ist Flow eine länger andauernde euphorische Stimmungslage, die ganz aus dem eigenen Handeln entsteht. Aufmerksamkeit, Motivation und die Umgebung sind das flowbringende Dreigestirn. Der Trick: Erfolg sollte weder absolut erwartet werden, noch darf einem das Ziel gleichgültig sein. Wer im Flow arbeitet, geht spielerisch an die Sache heran, erfreut sich an seinem Können, ohne dass ein Misserfolg den persönlichen Weltuntergang bedeuten würde. Das erklärt vielleicht, warum gerade die Uni manchmal so stresst: Wer eine verpatzte Prüfung oder den nicht erreichten Abschluss als das Ende aller Chancen im Leben betrachtet, findet selbst an seinem spannenden Lieblingsfach keine Freude mehr, denn zusammen mit der Angst entsteht das Gefühl der Überforderung. Ein Ansatz wäre also, das Studium – und vielleicht sogar das Leben – ein wenig als Spiel zu betrachten. Auch auf die Rahmenbedingungen hat der Mensch Einfluss: Flow hängt eng mit Konzentration und Aufmerksamkeit zusammen. Störungen jeder Art können den euphorisch-produktiven Schaffenszustand also verhindern. Der Bergsteiger, der gerade an der Eiger-Nordwand hängt, hat sein Handy vermutlich auf lautlos gestellt und unterhält sich mit seinem Kumpanen nicht über den letzten Tatort. Wer Störungen konsequent abstellt (siehe Zeit- und Energiediebe) wird produktive Höhenflüge eher erleben. Also ab in die Bibliothek, Handy ausschalten, einen bitte-nicht-stören-Zettel an die WG-Tür kleben oder das Facebook-Profil vorübergehend deaktivieren: So kann selbst die anstehende Statistikklausur zur spannenden Steilwand werden, deren Gipfel man Schritt für Schritt erreicht.