
Wie man um Akzeptanz für schwierige Botschaften wirbt
Jeder, der eine verantwortungsvolle Rolle übernimmt, kommt früher oder später in die Situation, schlechte Nachrichten oder Entscheidungen verkünden zu müssen. Einer der besten Rhetoriker der Republik hat dazu am Beispiel der Politik einen überraschenden Vorschlag gemacht: Transparenz hilft, in schwierigen Situationen Akzeptanz zu gewinnen.
Je mehr Verantwortung man im Beruf, in der Wissenschaft oder auch als Studentenvertreter übernimmt, desto häufiger und öffentlicher muss man Entscheidungen vertreten, die nicht leicht zu kommunizieren sind. In der Politik und anderen öffentlichen Ämtern ist es nicht selten, dass Karrieren über eine einzige problematische Entscheidung stolpern – auch mal ungeachtet der Schuldfrage. In der Wirtschaft und in anderen verantwortungsvollen Rollen gilt es ebenfalls immer wieder, Akzeptanz zu gewinnen.
In einem Redebeitrag hat einer der beliebtesten Politiker und Redner des Landes einen interessanten Vorschlag gemacht, den man gerade aus seinem Metier nicht unbedingt erwarten würde: mehr Transparenz, bitte! Wir sollten mehr Offenheit in Entscheidungsprozesse bringen, um die Menschen in die schwierigen Fragen unserer Zeit einzubeziehen. Das würde auch unserer Debattenkultur guttun.
Die schwere Last der Verantwortung
Wenn Menschen in herausgehobenen Positionen schwierige Entscheidungen treffen müssen, stehen sie oft zwischen den Stühlen. Zur Herausforderung, ausreichend informiert zu sein, kommt die Last der Verantwortung: Wer wird von welcher Handlungsoption profitieren, wer darunter leiden, und welchen Kompromiss ist eine Lösung wert?
Als Beispiel für eine solche Argumentation führte Gregor Gysi in seinem Vortrag den politischen Umgang mit dem Corona-Virus an. Die am heftigsten umstrittenste Frage in dieser Zeit war die Debatte, ob zum Schutz der Bevölkerung die Grundrechte angepasst werden durften oder nicht.
Wie soll man damit umgehen, fragte Gregor Gysi rhetorisch ins Publikum – insbesondere als Gesundheitsminister? Kein Minister dieser Welt könnte realistisch auch nur ansatzweise über ausreichende wissenschaftliche Kompetenz verfügen, um eine solche Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen aus eigener Kenntnis heraus zu beantworten. Minister müssen nicht fachkompetent sein, ergänzte Gysi: Ihre Rolle besteht darin, für das zu haften, was in ihrem Verantwortungsbereich geschieht – Fehlinformationen und Trugschlüsse inbegriffen.
Deshalb werden in der Politik Experten zu Rate gezogen. Bei Beschlüssen hoher Tragweite kommen häufig sogar ganze Expertenkommissionen zum Einsatz, in denen Forscher aus verschiedenen Disziplinen sachdienliche Informationen beitragen. Die Entscheidungsmacht selbst verbleibt am Ende jedoch immer bei der Politik, da Wissenschaftler ihre neutrale Rolle zu wahren haben.
Keine einfachen Entscheidungen
Im Normalfall ist die Expertenmeinung einhellig, denn die zugrundeliegenden Forschungsergebnisse lassen in der Regel homogene Schlüsse zu. In der Corona-Pandemie, führte Gregor Gysi aus, standen wir jedoch vor einer völlig neuen Situation: Zum ersten Mal waren die Experten sich eben nicht einig, weil selbst die Wissenschaft keinen belastbar vergleichbaren Präzedenzfall und damit keine eindeutigen Daten parat hatte. Vielmehr mussten die Forscher ihre Einschätzung permanent der aktuellen Lage anpassen – was dazu führte, dass sie untereinander häufig zu unterschiedlichen Interpretationen kamen.
So gab es Virologen, die argumentierten: Eine Einschränkung der Grundrechte wäre sinnvoll, weil es ohne sie zu Hunderttausenden zusätzlichen Infektionen und Tausenden weiteren Todesfällen kommen könnte. Und die, führte Gregor Gysi eindringlich aus, hätte man als Minister dann auf dem Gewissen. Auf der anderen Seite gab es aber auch Experten, die diese Interpretation für übertrieben hielten und keine signifikante Besserung der Situation durch eine Einschränkung der Grundrechte in Aussicht stellten.
Er als Gesundheitsminister, so Gysi, hätte das Dilemma an die kritischen Medien und damit auch an die breitere Öffentlichkeit durchgereicht. Das politische Dilemma hätte er offen kommuniziert, um dann die rhetorische Frage an die Journalisten und Bürger zu richten: Wie würden Sie damit umgehen? Welche Entscheidung würden Sie treffen? Wie würden Sie damit zurechtkommen, wenn es um Leben und Tod und das Wohlergehen einer ganzen Gesellschaft geht?
Die Entscheidung, daran äußerte auch Gregor Gysi keine Zweifel, müssen am Ende trotzdem die Volksvertreterinnen und Volksvertreter treffen, denn dafür wurden sie ins Amt gewählt. Doch die rhetorische Einbeziehung kann helfen, den gefühlten Graben zwischen Führenden und Geführten zu überbrücken, der die Umsetzung notwendiger Veränderungen in unserem Land oft so unsäglich zäh macht. Gewohnheitsskepsis und Dauerprotest werden schwieriger, wenn Gretchenfragen nicht immer reflexartig an die Mächtigen delegiert werden, sondern mit dem eigenen Gewissen in Einklang zu bringen sind – wenigstens virtuell.
Doch Transparenz zu fordern ist nur die eine Seite dieser Medaille; Akzeptanz dann auch zu gewähren ist die andere. Wenn wir von Führenden erwarten, dass sie mehr preisgeben, dann müssen wir sie auch mit einem fairen Diskurs dafür belohnen. Das gilt für die Medien genauso wie für den Volksmund.
Akzeptanz ist keine Einbahnstraße
Gregor Gysis Vorschlag, schwierige Entscheidungsprozesse transparent zu vermitteln, kann nicht nur in der Politik zum Einsatz kommen. Überall, wo die Sachlage uneindeutig ist und die Meinungen auseinandergehen, kann es zu Fehlzuschreibungen kommen – in Unternehmen, im Ehrenamt, sogar in Familien.
Wichtig ist dabei allerdings auch die Erkenntnis, dass Entscheidungen immer zwei Seiten haben: die beschließende und die ausführende. Die größte Chance auf Akzeptanz ist Offenheit – nicht nur gezwungenermaßen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, sondern proaktiv und nachhaltig. Menschen folgen Menschen, die sie als verlässlich erleben.
Kommen Sie gut an!
Ihr René Borbonus