Muss ich für die Berufswelt sein?
Beim Studium war es schon ungünstig, introvertiert zu sein. Da kamen Kommentare wie: „Sprechen Sie doch mal lauter“, „Nehmen Sie doch mal aktiver an den Vorlesungen teil“ oder „Ach, Sie waren auch anwesend? Ich habe Sie gar nicht bemerkt.“
Es könnte sein, dass Sie einfach introvertiert sind. Und Intros kommunizieren anders. Introvertiert wird gerne mal mit Schüchternheit oder Wortkargheit verwechselt. Als Introvertierter müssen Sie weder still noch schüchtern sein. Es kommt vielmehr darauf an, wo Sie Kraft tanken. Eher alleine zu Hause oder mit 49 Bekannten auf einer coolen Party?
Wenn Sie lieber für sich alleine sind, dann gehören Sie auch als Plappermaul eher der introvertierten Spezies an. In diesem Artikel soll es aber weniger darum gehen, was Sie sind, sondern vielmehr darum, ob Sie sich für die Berufswelt ändern müssen, falls Sie introvertiert sind.
In der Tat arbeiten sich in Deutschland hauptsächlich die Extrovertierten nach oben. Sie werden eher gehört, gesehen und gespürt. Dabei sind die Extrovertierten nicht besser als die Introvertierten, sondern nur anders. Es gibt kein Besser und Schlechter, auch wenn diese Gedanken immer mal wieder hochkommen. Vor allem, wenn ich in einem Seminar wieder einen Teilnehmer habe, der nur deswegen zu meinem Seminar geschickt wurde, um extrovertierter zu werden. Wenn ich nach dem Warum frage, kommt als Antwort: „Ich soll Führungskraft werden und dafür ist das ja wichtig.“ Ist es das?
1. In anderen Ländern werden introvertierte Führungskräfte geliebt
Es gibt kein Besser und Schlechter, auch wenn diese Gedanken immer mal wieder hochkommen.
Die Glücksexpertin Maike van den Boom hat gerade mal wieder Norwegen, Schweden und Dänemark bereist. Das sind Länder, die deutlich glücklicher sind, als Deutschland. Und dort hat sie ganz viele Führungskräfte kennen gelernt, denen Hierarchie und Status vollkommen egal waren und die selbst mit Praktikanten wichtige Entscheidungen fürs Unternehmen ausdiskutiert haben. Mit anderen Worten: Es gibt dort introvertierte Führungskräfte. Und zwar nicht zu knapp.
Rate ich Ihnen, nach dem Studium auszuwandern? Am besten noch mit „Goodbye Deutschland“? Nein. Aber wenn es dort geht, dann geht es auch hier. Theoretisch. Seien Sie die neue Generation, die auch in der deutschen Praxis etwas daran ändert.
2. Werden Sie sich Ihrer Stärken bewusst
Häufig haben Introvertierte besonders feine Antennen, sind empathisch und sind somit der Klebstoff im Team, die Fuge zwischen den Fliesen. Die schönen Fliesen sehen immer alle. Kaum einer betritt ein Bad und sagt: „Wow, was für schöne Fugen.“ Vor allem in Spanien gibt es in Jerez oder Sevilla ganze Häuserfronten mit wunderschönen bunten Fliesen. Auch dort wird kaum jemand die hellen Fugen bewundern.
Im ersten Schritt fallen die Extrovertierten also eher auf. Doch manche Führungskraft hat es bitter bereut, einen introvertierten Mitarbeitern entlassen zu haben. Wenn nämlich der Klebstoff fehlt, fällt alles auseinander. Konzentrieren Sie sich also weniger auf die vermeintliche Schwäche, dass Sie nicht so auffällig sind, sondern auf Ihre Stärke als wertvolles Teammitglied.
3. Stehen Sie zu Ihren Eigenarten
Nur weil von außen ein kritisches Feedback kommt, bedeutet es noch lange nicht, dass Sie es ändern müssen.Was bei Introvertierten häufig bemängelt wird, ist nicht nur das unscheinbare Auftreten, sondern auch die leise Stimme. Natürlich können Sie ein Stimmtraining buchen, um Ihre Stimme lauter und voluminöser zu bekommen. Ich bin klar dafür, wenn Sie Lust dazu haben. Falls Sie Ihre zarte Stimme aber viel schöner finden, dann bleiben Sie dabei und stehen Sie dazu.
Wenn jemand kommt und Ihnen sagt: „Sie haben aber eine leise Stimme“, dann strahlen Sie ihn an und sagen Sie: „Stimmt!“ Nur weil von außen ein kritisches Feedback kommt, bedeutet es noch lange nicht, dass Sie es ändern müssen. Sie können es auch einfach zugeben. Solche selbstbewussten Reaktionen werden geschätzt und als starkes Auftreten wahrgenommen.
4. Finden Sie Ihren eigenen Weg
Suchen Sie nach Lösungen, um die vermeintlichen Schwächen auszugleichen. Wie wäre es, wenn Sie eben schon ab einer Gruppengröße von 20 Personen mit einem Headset sprechen? Dann kann Sie jeder gut verstehen, selbst wenn Sie leise ins Mikrofon murmeln. Das macht sonst niemand bei den Meetings? Gut, dann sind Sie eben die oder der erste.
Es gibt von dem Verkaufstrainer Dirk Kreuter ein anschauliches Beispiel, welches verdeutlichen soll, mehr auf sich aufmerksam zu machen. Er meint, dass Hühner und Enten Eier legen. Die Enteneier seien größer und würden besser schmecken, so Kreuter. Doch trotzdem würden fast alle Hühnereier kaufen und essen. Warum? Weil ein Huhn nach dem Eierlegen laut gackert, während die Enten dies still und leise erledigen. Ein perfektes Beispiel für Intros und Extros.
Natürlich ist es schlau, auf sich und seine Fähigkeiten hinzuweisen. Natürlich ist es schlau, sichtbar zu werden. Doch wenn Sie aus sich selbst eine komplett andere Person machen, werden Sie auf Dauer nicht glücklich.
Verbessern Sie sich in einigen Bereichen, ohne sich zu verbiegen und dadurch langfristig auch zu verlieren.
Bleiben Sie vielleicht bei der leisen Stimme,
aber gackern Sie häufiger.
Oder Sie sagen weiterhin wenig, doch dies dann mit einer lauteren Stimme.
Das Leben ist faszinierend, weil jeder anders ist. Dasselbe gilt für das Berufsleben.