
Als Stefanie Voss 1999 für ein Jahr ihre Laptoptasche gegen den Seesack eintauschte und die Welt auf einer Segelyacht umrundete, ahnte sie nicht, welche wichtigen Lektionen diese Zeit bringen würde. Heute sagt sie: „Es war hart, ich bin brutal aus meiner Komfortzone herauskatapultiert worden, und ich habe extrem viel über mich selbst gelernt. Was für ein Glück, dass mir das so früh in meinem Leben passiert ist.“
Für viele ist und bleibt es nur ein Traum, für mich wurde es eine sogenannte „Lifetime Opportunity“: 12 Monate freie Zeit, um die Welt per Segelschiff zu umrunden. Als ich Mitte 1999 den Seesack packte, freute mich auf ein Jahr voller Abenteuer, Freiheit und Lebendigkeit. Einmal rund um den Globus, einmal raus aus allem Trott, auf zu all den entferntesten Flecken Erde, die weitab von jeglichem Massentourismus zu entdecken sind.
Doch als ich die ersten Etappen Segelalltag an Bord einer 20-Meter-Yacht mit internationaler Crew hinter mir hatte, war ich völlig desillusioniert. Sehr wenig Platz, keinerlei Privatsphäre, viel zu wenig Schlaf, nervige Mitsegler und null Komfort. Und das sollte eine Lifetime Opportunity sein? Es fühlte sich eher an wie eine knallharte Prüfung.
Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.
Wenn alles glattläuft, ist das zwar schön, aber wenig lehrreich. Es sind gerade die schwierigen Momente, an denen du wachsen kannst. Egal, ob es die neue Umgebung an Bord eines Schiffes ist, in die man sich einfinden muss, oder ob sich der Job, den du gerade noch voller Freude gemacht hast, plötzlich extrem kompliziert gestaltet: Nicht sofort weglaufen, sondern dranbleiben und durchhalten ist das, was dich reifen lässt. Doch das ist einfacher gesagt als getan.
Als sich meine Segelreise nicht so traumhaft entwickelte wie geplant, kam schon nach wenigen Wochen das Gefühl totaler Frustration auf. „Ich komme nicht klar. Nichts läuft so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich will hier nur noch weg.“
Diese Gedanken sind ganz typisch. Heute weiß ich das nicht nur aus meiner persönlichen Erfahrung, sondern auch aus meiner beruflichen Perspektive als Business Coach und Leadership-Expertin. Menschen und Organisationen tun sich schwer, wenn Erwartung und Realität weit auseinanderklaffen. Wenn die Rahmenbedingungen klar und kalkulierbar sind, dann bewegen wir uns innerhalb unserer Komfortzone. Doch dann kommt alles anders als geplant.
Eigentlich wollen wir Veränderung, aber uneigentlich tun wir uns schwer.
Wir leben in einer kaum noch kalkulierbaren Welt. Kleine Ereignisse schlagen große Wellen, und nicht nur auf dem Meer, auch in unserem Alltag ziehen regelmäßig überraschend dicke Stürme auf. Das kennst du bestimmt, dann steigt der Druck. Du kommst vom planvollen Agieren ins situative Reagieren. Mental hast du in solchen Momenten zwei Möglichkeiten: Jammern oder Anpacken.
Jammern kann ein Ventil sein, es ist nicht grundsätzlich verkehrt, sich auch mal „ordentlich auszukotzen“. Wenn du aber in der Phase des Jammerns verharrst und auch nach längerer Zeit immer noch dem alten Status quo hinterhertrauerst, verlierst du Gestaltungsmöglichkeiten. Irgendwann muss das Jammern weichen und einem „Ich-schaffe-das-Gefühl“ Platz machen. Dann kommt die Veränderung in Gang, dann kannst du aus einem Dilemma heraus neue Lösungen entwickeln, und siehe da: Vorher vielleicht undenkbare Ideen und Wege sind plötzlich genau das, was du jetzt brauchst, um weiterzukommen.
Segler-Regel Nummer 1: Annehmen, was ist!
Jede Herausforderung bietet dir – wenn du nicht im Jammertal versinkst – die Möglichkeit, kreativ zu werden und dich zu entwickeln.
Auch Lebensläufe und Karrieren sind wechselhaften, teils stürmischen Rahmenbedingungen ausgesetzt. Genau wie an Bord eines Schiffes musst du dabei eins immer im Blick behalten: deinen inneren Kompass. Was ist für dich wirklich wichtig und nicht verhandelbar? Wo sind deine Leitplanken oder Grenzen? Welche Ziele willst du unbedingt erreichen?
Dieser Kompass bedeutet, dass du in jeder Situation für dich Klarheit schaffst. Wenn es entspannt läuft, kannst du langfristige Ziele anvisieren. Wenn sehr viel los ist, musst du hart priorisieren. Wenn persönliche Beziehungen auf dem Spiel stehen, ist deine Integrität gefragt. Wenn missverständliche Kommunikation das Problem ist, braucht es Klartext.
Segler-Regel Nummer 2: Klarheit schaffen!
Differenziere genau, was dir wichtig ist und was gerade keine Priorität hat. Achte auf eine klare und direkte Kommunikation sowie konsequentes Handeln.
Meine Weltumseglung entwickelte sich über die Monate zu einem echten Ego-Kontroll-Crashkurs. Auf engstem Raum mit sehr unterschiedlichen Menschen ist es keine gute Idee, sich immer wieder durchsetzen zu wollen. Der Konfliktforscher Marshall Rosenberg sagt dazu: „Willst du Recht haben oder glücklich sein? Beides geht nicht.“ Mein Weg war schmerzhaft, aber wichtig. Heute agiere ich situativ unterschiedlich, um meine Ziele zu erreichen, und kann schnell und genau analysieren, ob ich besser auf Konfrontation oder auf Anpassung setze. Ich weiß, was Augenhöhe bedeutet. Und ich erwarte von niemandem, sich für mich zu ändern.
Kein Segler würde die Segel immer gleich setzen und darauf bauen, dass sich der Wind schon irgendwann anpasst. Das klingt absurd, stimmts? Aber mal ehrlich: Machen wir das im Leben nicht alle?
Segler-Regel Nummer 3: Veränderung beginnt bei dir!
Niemand wird sich für dich verändern, nur durch deine eigene Veränderung kannst du Dinge in Bewegung bringen.
Heute weiß ich: Es ist der Weg raus aus den Gewohnheiten, der uns stark macht. Im Sturm wie auch in der Flaute gut unterwegs zu sein, das lernen wir nur, wenn wir uns ganz unterschiedlichen Situationen bewusst und wagemutig aussetzen. LEADER on my SHIP zu sein, das ist kein Zustand, sondern ein spannender und erfüllender Prozess, den wir jeden Tag für uns selbst gestalten können.
