Die meisten von uns haben in den vergangenen Wochen und Monaten pandemiebedingt viel mehr Zeit als sonst vor einem Bildschirm verbracht. Vorlesungen gab es im virtuellen Raum statt im Hörsaal, Teams arbeiteten in Videokonferenzen zusammen und Trainings fanden online statt.
Eine vom Branchenverband Bitkom durchgeführte Studie hat vor kurzem bestätigt: In Deutschland sitzen Menschen durchschnittlich mehr als 10 Stunden am Tag vor dem Bildschirm, zwei Stunden länger als noch vor der Coronakrise.
Dieses Maß an Digitalisierung im Studium, im Job wie auch im Privatleben ist an vielen Menschen nicht spurlos vorbeigegangen. Viele klagen über Kopfschmerzen, Rückenprobleme und Schlafstörungen, andere fühlen sich schlapp, ausgelaugt und antriebslos.
Kurzum: Die digitale Müdigkeit greift um sich.
Auch Ärzte wie beispielsweise Bert te Wildt, Professor an der Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie am LWL-Universitätsklinikum Bochum, bestätigen diesen Trend. Gegenüber dem Magazin „Business Insider“ warnte er unlängst vor zu hohen Nutzungszeiten von Bildschirmmedien, da diese einerseits zu körperlichen, aber auch zu seelischen Problemen führen können.
Als Business Coach und Mental Fitness Trainerin arbeite ich viel mit Menschen, die aus einer digitalen Stressspirale aussteigen und das Stresslevel erfolgreich senken möchten. Hier deshalb vier konkrete Tipps für Dich, damit Dich der Alltag in der digitalen Welt nicht stresst, sondern Du leistungsfähig bleibst.
Stress ist meistens „hausgemacht“
Viele Menschen glauben, dass Stress durch die jeweiligen Umstände entsteht. Das ist aber so nicht ganz korrekt. Denn Stress entsteht durch die eigenen Wahrnehmungsfilter und das darauf aufbauende Verhalten. Oder anders gesagt: Wie man mit Stress – egal ob im Studium, im Büro oder im Privatleben – umgeht, also was man als Stress empfindet und was nicht, entscheidet jeder von uns jeden Tag selbst. Diese Erkenntnis empfinden viele Menschen erst einmal als ernüchternd, denn wir geben oftmals lieber den Umständen die Schuld, als uns einzugestehen, dass die Ursachen für Stress zum großen Teil bei uns liegen. Wenn Du Dich also ausgelaugt und gestresst fühlst, weil Du zum Beispiel immer „online“ bist, dann hinterfrage zuallererst Dein eigenes Verhalten. Was genau stresst Dich? Wo könntest Du Schritt für Schritt Dein Verhalten ändern? Was kannst Du bereits in den nächsten 48 Stunden ändern?
Multitasking ist ein Mythos
Gehörst auch Du zu den Menschen, die gerne viele Dinge gleichzeitig machen? Dem neuesten Chatverlauf auf dem Smartphone folgen, gleichzeitig Netflix schauen, kurz noch mal die E-Mails checken. Viele Menschen springen im digitalen Raum von einer App zur anderen, von einem Bildschirm zum anderen. Das läuft gewohnheitsmäßig ab, ohne sich darüber noch groß bewusst zu sein. Fachleute jedoch warnen schon lange vor diesem medialen Multitasking. Und Forscher an der Universität Stanford konnten vor kurzem sogar in einer Studie zeigen, dass Medien-Multitasking nachweislich schlecht für unser Gedächtnis und unser Erinnerungsvermögen ist. Sie untersuchten per Eye-Tracking die Pupillenreaktion von Probanden und zeichneten mittels der Elektroenzephalografie (EEG) deren Hirnaktivität auf. Das Ergebnis: Die Studienteilnehmer, die sehr intensiv Medien-Multitasking betrieben, schnitten in Gedächtnisübungen deutlich schlechter ab, da bestimmte Hirnaktivitätsmuster, die mit dem episodischen Gedächtnis zusammenhängen, weniger stark entwickelt waren. Wenn Du also zu den Medien-Multitaskern gehörst, dann probiere mal aus, was es für Dich und Deinen Alltag bedeutet, wenn Du einen oder zwei Gänge runterschaltest.
Deep Work statt Ablenkung
Klar, die Digitalisierung ist Teil unseres Alltags. Hier schon wieder eine neue Mail in der Inbox, dort ein Reminder für das bevorstehende Online-Meeting. Und dann gibt es noch die weite Welt der Push-Nachrichten, die uns darüber informieren, was wir wo noch nicht gelesen haben, aber eigentlich lesen könnten. Die Gefahr der Ablenkung ist immens. Besonders dann, wenn eine Aufgabe zu erledigen ist, vor der man sich gerne drücken möchte. Das führt dann häufig zu mentalen Täuschungsmanövern wie zum Beispiel: „Ich schaue nur mal grade schnell noch in der App XYZ vorbei, ob es was Neues gibt“, mit dem Ergebnis, dass man dort viel unnütze Zeit verschwendet. Plane stattdessen ganz bewusst Zeitabschnitte in Deinem Alltag ein, in denen Du Dich auf „Deep Work“ konzentrierst. Der Autor Cal Newport hat diesen Begriff in seinem Buch „Deep Work: Rules for Focused Success in a Distracted World” geprägt. Man versteht darunter ein konzentriertes ablenkungsfreies Arbeiten, quasi ein tiefes Eintauchen in die eigene Arbeit. Ohne Mails, Social Media, Telefonate etc.
Digitalen Detox genießen
Nimm Dir ab und an eine Auszeit von der digitalen Welt. Dies kann eine Stunde, ein Tag oder auch länger sein, ganz so, wie es für Dich passt. Verzichte in dieser Zeit bewusst auf die Nutzung ausgewählter elektronischer Geräte, also zum Beispiel auf das Smartphone oder Tablet. Auch wenn das Dir anfangs vielleicht sehr schwer fällt. Komm aus der Routine heraus, reflexhaft das Smartphone zu zücken, beispielsweise beim Warten auf den Bus. Nimm stattdessen in solch einer Wartezeit zum Beispiel Deine Umgebung wahr oder achte einmal für eine kurze Zeit ganz bewusst auf Deinen Atem. Solche Achtsamkeitsübungen stärken bewiesenermaßen einen Bereich in unserem Gehirn, der Stress reduziert und uns ruhiger und ausgeglichener werden lässt.
Kurioserweise gibt es sogar Apps, die den digitalen Detox unterstützen. Mit der App „Forest“ kannst Du virtuelle Bäume pflanzen, indem Du eine Zeitspanne angibst, während der Du Dein Smartphone nicht nutzen möchtest. Wenn Du es dann doch tust, hört der Baum zu wachsen auf und geht stattdessen ein. Oder mit der App „Offtime“ kannst Du festlegen in welchen Zeitfenstern Du wie und für wen erreichbar sein willst, welche Apps wann funktionieren sollen und wann Du ganz bewusst offline bist.
Fazit
Digitale Müdigkeit entsteht meistens nicht, weil wir in zu vielen Video-Konferenzen sitzen oder an zu vielen Online-Terminen teilnehmen, sondern eher durch einen unbedachten Umgang mit der Vielfalt an Tools in der digitalen Welt. Wer über längere Zeit nicht genug Schlaf findet, läuft irgendwann hundemüde durch den Alltag. Gleiches gilt für die digitale Welt: Überlege Dir genau, wo Du Deine Energien einsetzt und genieße es, auch mal „offline“ zu sein.