Entscheidungsorientiertes Denken
Science, Business und Poker haben eine Menge gemeinsam –
bei allen Dreien geht es nicht ums Gewinnen
Inspiriert von einer Pressekonferenz zu neuen Erkenntnissen über Gravitationswellen habe ich die einleitende These formuliert, die ich im Folgenden selbstverständlich auch begründe:
Die wissenschaftlichen Konzepte der Gravitationswellen-Konferenz verstehe ich zwar nur grob, doch durch den spürbaren Enthusiasmus und die uneingeschränkte Leidenschaft der Wissenschaftler wird mir schnell klar, welch großer Durchbruch hier gelungen ist.
Für die neuen Erkenntnisse gibt es jedoch noch keinen Usecase, kein Businessmodell. Dergleichen zu liefern sehen die Redner auch nicht als ihre Aufgabe an. Darum kann man sich später noch kümmern. Jetzt zählt vor allem, wie man die Erkenntnisse analysiert und vertieft, wie man weitere Informationen sammelt und Wissen aufbaut. Jetzt geht es um Entscheidungen für die Zukunft – und diese Herangehensweise hat Geschichte.
Seit Anbeginn hat die Wissenschaft gewonnene Erkenntnisse immer wieder optimiert und dadurch im wahrsten Sinne des Wortes „Wissen geschaffen“.
Anhand von clever aufgesetzten Experimenten wurden Theorien überprüft - nicht jedoch bewiesen - denn Theorien, so wahr sie auch erscheinen (wie z.B. unser Wissen - oder besser gesagt unsere Theorie! - über Schwerkraft), kann man nur widerlegen, aber nie ultimativ beweisen.
Die Resultate dieser Überprüfungen sind zudem noch von unzähligen Faktoren beeinflusst, die vielleicht vollkommen zufällig, zumindest aber uns unbekannt sind.
Dadurch zeigt sich, dass die Wissenschaft noch nicht einmal ansatzweise kommerziell resultatorientiert handelt - und da trifft es mich direkt ins Herz, oder vielmehr in mein Pokergehirn.
Es sind ähnliche Erkenntnisse, wie ich sie in der Reihe „Gedankengänge eines Pokerspielers - Pokerkonzepte für Entscheider“ in meinen Vorträgen vor Unternehmern erkläre - ich erinnere an meine eingangs aufgestellte These:
Es geht nicht ums Gewinnen.
Selbstverständlich wollen auch bzw. insbesondere professionelle Pokerspieler Gewinne einfahren, doch ihre Herangehensweise ist zunächst nicht kommerziell orientiert, sondern gleicht eher der von Wissenschaftlern. Warum ist das so?
Genau wie Wissenschaftler haben gute Pokerspieler - und auch Unternehmer - zwei Feinde: die Unsicherheit und die unvollständige Information.
Die Unsicherheit wird im Poker durch die Karten simuliert. Wir können nicht in die Zukunft blicken, wir wissen nicht, welche Karte als Nächstes auf dem grünen Filz des Pokertischs einschlagen wird. Der Zufall bestimmt kurzfristig das Resultat.
Die unvollständige Information bringt der Gegner mit. Mein Gegenüber wird mir nicht verraten, welche Karten er auf der Hand hat. Er wird mir nicht sagen, WAS er damit vorhat (Taktik), und auch nicht, WARUM (Strategie).
„Ist Poker ein Glücksspiel? Es kommt darauf an.“
Um diese beiden Schlüssel-Faktoren zu konterkarieren, arbeiten gute Spieler an ihren Entscheidungen. Sie verstehen, dass insbesondere kurzfristige Resultate oft negativ ausfallen, obwohl die Entscheidungen gut und richtig waren.
Diesen Zusammenhang verdeutlicht folgende Frage, die ich oft gestellt bekomme: „Ist Poker ein Glücksspiel?“ Und ich gebe darauf immer eine definitive Antwort: „Es kommt darauf an.“
Wenn wir eine Hand Poker spielen, bestimmen die Karten den Gewinner. Kurzfristig regiert also der Zufall, das Glück, oder um es in der Poker-Fachsprache zu sagen: die Varianz.
Wenn wir an einem guten Pokerabend 100 Hände gegeneinander spielen, dann wird sich der bessere Spieler mehrheitlich durchsetzen - aber selbst über diese Distanz kann immer noch einiges Unvorhersehbares passieren.
Wenn wir 10.000 Hände Poker spielen, hat ein unerfahrenerer Spieler keine Chance.
Kurzfristige Resultate sind einem Profi also egal.
Nur ein Amateur redet darüber, dass er an einem Dienstag Plus gemacht hat und aus dem Turnier am Donnerstag unglücklich ausgeschieden ist.
Ein Profi dagegen analysiert all seine Entscheidungen. Habe ich sie zum Entscheidungszeitpunkt mit meinem Können und den zur Verfügung stehenden Informationen optimal getroffen? Wenn ja, treffe ich in der Zukunft die gleiche Entscheidung wieder? Wenn nein, gewinne ich neue Erkenntnisse und lerne auf diese Weise dazu?
Habe ich schlechte Entscheidungen getroffen, so suche ich nach der Ursache. Reflexion und knallharte Selbstkritik sind hier genauso notwendig, wie ein gutes Netzwerk und die Meinung von Experten. Pokerspieler sind untereinander sehr eng vernetzt, bilden Lerngruppen, tauschen sich aus.
Analog wird in der Wissenschaft durch Peer-Review und Wiederholungen von Experimenten kontinuierlich garantiert, dass eine Widerlegung schnell dazu führt, dass die Theorien umgedacht werden.
Gute Spieler treffen also bessere Entscheidungen als schlechte Spieler, was zu folgenden Konsequenzen führt:
Bessere Entscheidungen als die Gegner -> man bleibt im Spiel. Bessere Entscheidungen als letzte Woche -> man wird besser.
Ergebnis: Man darf weiter spielen.
Um auf die Anfangsthese zurückzu- kommen: Es geht also nicht ums Gewinnen – es geht ums Weiterspielen – bzw. ums Weiterforschen oder aus Unternehmersicht ums „am Markt bleiben“, um besser zu werden. Dies sicherzustellen, geht nur über gute Entscheidungen.