Wie gehen Unternehmen im digitalen Zeitalter in der Personalsuche und -auswahl vor?
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Unser tägliches Leben ist in vielerlei Hinsicht digital geworden. Wir nutzen das Internet, um Lebensmittel und Kleidung zu kaufen, unsere Reisen zu buchen und neue Wohnungen zu suchen. Apps helfen uns, viele wichtige Fragen des Lebens beantworten und lösen zu können: einen neuen Partner finden, das gesunde Wachstum unserer Kinder verstehen, das aktuelle Wetter an allen Orten der Welt abfragen oder unser Gewicht kontrollieren. Genauso sehr wie unser privates Leben ist auch unser Büroalltag von digitalen Tools geprägt und durchdrungen.
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Gleichzeitig sehen wir neue, aufregende Technologien, die das Potenzial haben, unser berufliches wie auch privates Leben radikal zu ändern. Roboter, künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen zählen zu den wichtigsten und tiefgreifendsten neuen technologischen Trends, mit denen Unternehmen neue Möglichkeiten der Effizienzsteigerung entdeckt haben. Wenn wir uns auf einer Website über ein interessantes Produkt informieren, schreibt uns eine „Mitarbeiterin“ an, hinter der sich künstliche Intelligenz verbirgt. Roboter werden vermehrt eingesetzt, um sich wiederholende Standardprozesse zu automatisieren, zum Beispiel in der Dokumentenverwaltung. Damit können Unternehmen wertvolle Zeit ihrer Mitarbeiter sparen, die für andere, kreativere TätigÂkeiten eingesetzt werden. Auch deshalb überdenken Unternehmen und Beratungsfirmen die Prozesse und Vorgehensweisen in den Personalabteilungen. Im HR-Bereich sehen wir seit ein paar Jahren viele neue Ansätze und Versuche, mit digitalen Tools und neuen Technologien Vorteile für Bewerber und Recruiter zu schaffen.
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Gleich zu Beginn des BewerbungsÂprozesses hat sich einiges Neues getan. Mit sogenannten Matching-Apps oder Matching-Jobportalen, die auf Basis von komplexen Algorithmen funktionieren, werden Kandidaten mit ihren detaillierten Profilen passenden Stellen zugeordnet. Das funktioniert ähnlich wie bei Tinder oder Parship, wo Menschen auf Basis von vorher eingegebenen Daten und Tests einander vorgeschlagen werden. Als Bewerber erhalte ich die entsprechenden Stellen vorgeschlagen und kann mich entscheiden, ob ich mich bewerben möchte oder nicht. Genauso einfach und relativ bequem ist aus Bewerbersicht die soÂgenannte One-Click-Bewerbung. Offene Stellen werden mir als Bewerber angezeigt, die ich auswählen kann und auf die ich mich mit einem Click bewerben kann. Voraussetzung ist „nur“, ein BewerberÂprofil mit verschiedenen Standardinformationen angelegt zu haben. Recruiter und Personalverantwortliche stehen diesen Tools jedoch nicht immer positiv gegenÂüber. Für sie bedeutet es, im ersten Schritt relativ wenige Informationen zu erhalten, die nicht auf ihr Unternehmen und ihre Stelle angepasst sind. Gleichzeitig müssen sie dann die für die Auswahl notwendigen Dokumente wie Zeugnisse nachfordern.
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Gehen wir im Bewerbungsprozess einen Schritt weiter und schauen uns an, welche Technologien Unternehmen heute für Jobinterviews einsetzen, wird es aus Bewerbersicht noch aufregender und ungewöhnlicher. Zeitversetzte Videointerviews oder virtuelle Arbeitsproben sind noch die leichteren Varianten. In zeitversetzten Videointerviews erhält der Kandidat einen Link zu einem Programm, in dem er mit einem Testlauf den Interviewprozess üben kann. Die Fragen werden eingeblendet, der Kandidat bekommt eine genaue Zeitvorgabe für die Antwort, und das ÂGanze wird aufgenommen, so dass es sich der HR-Verantwortliche später in Ruhe ansehen kann. Auf diese Weise werden Interviewergebnisse vergleichÂbarer und damit das AuswahlÂergebnis verlässlicher, und so beide Seiten, Bewerber wie auch Recruiter, zeitlich flexibler. Mit virtuellen Arbeitsproben möchte man die Fachkenntnisse direkt prüfen. Für Informatiker werden zum Beispiel Programmieraufgaben in Stellenausschreibungen eingebunden.
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Einen Schritt weiter gehen einige ÂUnternehmen, indem sie spielerische Elemente, sogenannte Mobile Games im Auswahlprozess verwenden. Als Bewerber kann dies recht unterhaltsam sein, denn ich spiele auf dem Smartphone verschiedene Spiele, mit denen ich Punkte sammeln kann. Die Performance wird ausgewertet, meistens in Bezug auf analytische Fähigkeiten und auch auf Reaktionszeiten.
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Mit künstlicher Intelligenz wird es aus Bewerbersicht jetzt ganz neu und anders. Mit KI-basierten Lösungen werden heute bereits Vorstellungsgespräche durchgeführt. Als Bewerber rede ich dann mit der KI, die je nachdem das Text-, Sprach- oder Videointerview nach bestimmten Aspekten analysiert. Der Sympathie-, aber auch der Antipathie-Effekt, den ein Personaler bei persönlichen Interviews immer hat, ist damit komplett ausgeschaltet. Eine Maschine lässt sich sehr schwer manipulieren.
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Viele der genannten neuen Tools sind heute bereits im Einsatz und bieten aus Bewerber- wie auch aus Unternehmenssicht wichtige Vorteile und natürlich auch Nachteile. Man kann guten Gewissens sagen, dass die Digitalisierung und die genannten Technologien den HR-Bereich in vielen Unternehmen gehörig durcheinander wirbelt. Es wird experimentiert und ausprobiert, je nachdem, wieviel Budget und Ressourcen zur Verfügung stehen. Als Bewerber gilt es, abzuwarten, welche Neuigkeiten sich etablieren und durchÂsetzen werden. Freuen kannst Du dich als Bewerber auf alle Fälle auf eine im ersten Schritt leichtere und schnellere BeÂwerbung. Andererseits ist es sehr empfehlenswert, sich genau und gut auf die neuen Tools für Online-Assessments und Vorstellungsgespräche vorzubereiten und diese, wenn möglich, im Vorfeld zu testen. Damit wird der Ernstfall auf alle Fälle stressfreier und leichter!
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Heike Anne Dietzel,
Karriereberaterin bei Karrierecoach München