Stelle Dir vor, Du würdest jetzt nach abgeschlossenem Studium noch mal Deine erste Stelle suchen: Welche Wege würdest Du wählen?
HOLGER AHRENS: Wenn ich nochmal Student wäre, hätte ich sicher frühzeitig damit angefangen, zu zeigen, was ich drauf- habe, welche Themen mich beschäftigen und reizen. Zum Beispiel auf LinkedIn. Mein zukünftiger Arbeitgeber soll ja wissen, was ich schon kann und dass er kein Risiko eingeht, wenn er mich einstellt.
Welche der Business-Netzwerke sind da wichtig? Gibt es denn “Zuschauerzahlen” wie beim Fernsehen oder Vorstellungen, wie viele Menschen diese Netzwerke nutzen?
HA: In 2023 ist LinkedIn für Karriere, Job und Austausch ganz klar vorn. Das hat nicht unbedingt etwas mit der Anzahl der deutschen Profile, sondern eher mit der Art des Netzwerkes zu tun. XING war lange sehr wichtig in Deutschland, gerade für mittelständische, deutsche, traditionelle Unternehmen – übrigens auch für Studenten. Inzwischen hat sich das aber verändert. Wer Kompetenz zeigen möchte, etwa zum Thema Digitalisierung, der findet Gesprächspartner und Informationen eher auf LinkedIn. Auch, wenn es um internationale Jobs geht, wo ja viele Studenten hinstreben, gehört es dazu, sich dort sichtbar zu machen für große, internationale Unternehmen.
Für Leute, die in den Wissenschaftsbetrieb gehen wollen, ist ResearchGate eine gute Plattform, um frühzeitig zu zeigen, dass man Paper veröffentlicht, dass man zitiert und zitiert wird. Je nachdem, was man vorhat, ist XING aber noch nicht komplett irrelevant: ein wenig Ausprobieren gehört dazu.
Wenn ich dann ein Profil einstelle zu meinen Qualitäten und Erfahrungen: Wann ist meine Arbeit, die ich dort investiere, den Aufwand “wert”? Wenn ein oder zwei Leute sich melden, kommt doch nicht viel dabei rum …
HA: Auf Business-Plattformen aktiv zu sein, ist kein Sprint, sondern eher ein Marathon. Man sollte frühzeitig anfangen, ein gutes Profil zu haben, und dann auch ins Networking und in Interaktionen gehen. Damit fängt man am besten schon während des Studiums an. So hat man schnell ein Netzwerk aus Kommilitonen, Bekannten und potentiellen Arbeitgebern, deren Vertreter man vielleicht auf Messen oder Events getroffen hat. Zwei Likes unter einem interessanten Beitrag können dann schon hilfreich sein, wenn es Likes von den richtigen Leuten sind.
Wichtig: die professionellen Netzwerke sind nicht wie Tinder, Twitter, Tiktok oder Snapchat, wo es vor allem darum geht, Likes zu produzieren, sondern es handelt sich darum, nachhaltig, angemessen und mit einem gewissen Understatement zu zeigen, was man kann und drauf hat. Das bedeutet vor allem, nicht marktschreierisch zu werden.
Für wen ist LinkedIn nicht geeignet?
HA: Da fällt mir zurzeit niemand ein! Wer einen Job sucht, ist auf LinkedIn gerade gut aufgehoben. Wenn er ihn gefunden hat, geht es weiter darum, die Karriere zu entwickeln. Das heißt nicht unbedingt immer, gleich den nächsten Job zu finden. Man sollte Kompetenzen zeigen und Employee-Branding betreiben, also auch anderen verdeutlichen, wie gut die eigene Firma ist. Damit zeigt man Commitment zur eigenen Firma und sagt anderen: Hey, Ihr könnt hier in unserem tollen Unternehmen arbeiten. Wer ein gutes, persönliches Profil hat, strahlt eben auch gleichzeitig für seine Firma.
Da gibt es ja nicht nur positive Reaktionen. Mancher erntet für Postings auf sozialen Netzwerken über seine Arbeit nicht nur Freude beim Arbeitgeber.
Wer auf Social Media aktiv ist, sollte immer bedenken, dass er nicht nur privat oder persönlich postet, sondern dass das auch im beruflichen Umfeld zu sehen ist. Man sollte sich ans Recht halten, angemessen kommunizieren. Nichtsdestotrotz hat man aber alle Rechte, auf seinem Profil alles zu veröffentlichen, was man möchte – nur lügen sollte man nicht.
Häufig existieren Social-Media-Guidelines, in denen das Unternehmen Richtlinien formuliert und sagt: „Ich wünschte mir, Du würdest Folgendes tun.” Viele Unternehmen sind entspannt und sagen: „Frag uns, wenn Du Zweifel hast, ansonsten mach. Wir freuen uns über Dialog, über Sichtbarkeit im digitalen Raum auch für die Generation Z.” Letztlich kommen auch auf diesem Weg neue Mitarbeiter in das Unternehmen. Und man vernetzt sich professionell mit Lieferanten, Kunden, Kolleginnen und Kollegen. So bringt man dann seine Karriere auch intern voran, in- dem man zeigt: „Digitalisierung kann ich.“
Wenn man mit Arbeitsmarkt-Fachleuten spricht, hört man, dass im Lauf der nächsten Jahre mehrere zehntausend Fachkräfte in den Ruhestand gehen werden. Es besteht also großer Bedarf. Sind Netzwerke wie LinkedIn so weit, Wesentliches zur Lösung dieses Problems beitragen zu können?
HA: Der Fachkräftemangel ist nicht mehr nur eine statistische Größe, sondern real. Heutzutage können sich Menschen aus dem Studium heraus ihren Job einfach aussuchen. Unternehmen nutzen soziale Medien auch, um potenzielle Bewerber frühzeitig zu identifizieren. Sie sprechen sie dort gezielt an. Es macht also Sinn, bereits absolvierte Praktika und kleine Jobs in sein LinkedIn-Profil einzustellen, um es so frühzeitig Stück für Stück wachsen zu lassen. Das ist am Anfang übrigens nie perfekt – wenn man es aber schafft, da schon frühzeitig ein gutes Bild abzugeben, hat man gleich eine einfachere Möglichkeit, mit seinem Wunsch-Arbeitgeber positiv in einen Austausch zu gehen. Außerdem kann man als Student auf LinkedIn super recherchieren: Bei welchem Unternehmen möchte ich mich denn bewerben? Wie sind die Leute da drauf? Worüber sprechen sie miteinander? Man kann also frühzeitig sehen, ob es „miteinander passen“ würde. Wenn ein Unternehmen dort nicht präsent ist und es seinen Mitarbeitern gar verbietet, dort unterwegs zu sein, sagt das ja auch eine Menge über das Unternehmen.
Hat der klassische Weg, sich mit Anschreiben, Lebenslauf und Zeugnissen zu bewerben, überhaupt noch eine Zukunft?
HA: Ich habe dieses Jahr schon zwei Faxe versendet… (lacht) Man muss halt überlegen: Wofür bewerbe ich mich und bei welchem Unternehmen? Wo fühle ich mich wohl? Um die Frage zu beantworten: Es wird auch in Zukunft noch klassische Lebensläufe geben, die als pdf-Dateien versandt werden – aber eher kaum noch per Post.
Die Anbahnung von Jobgesprächen über LinkedIn ist heute total normal, dann wechselt man zur E-Mail mit den entsprechenden Anhängen. Die kann man auch direkt über die Plattform schicken. Es gibt bereits einige Bewerbermanagementsysteme, die mit LinkedIn und XING gekoppelt sind; da sehen Jobsuchende, wie digital ein Unternehmen schon tickt.
Was soll denn auf jeden Fall in einem guten Profil stehen?
HA: Es ist weiterhin wichtig und sinnvoll, sich mit einem Foto zu präsentieren. Der „Nasenfaktor“ muss stimmen und es entscheidet sich in den ersten Sekunden, ob man mit jemandem kann oder nicht. Das Foto im Profil sollte also ein professionelles sein – nicht das Bild von der letzten Party. Man kann zum Fotografen gehen für etwas anderes als das „klassisches Führerscheinfoto“. Der Ausschnitt muss gut gewählt sein, das macht das Gesicht deutlich erkennbar. Frauen sollten nicht zu viel Ausschnitt, nicht zu viel wallendes Haar zeigen: LinkedIn ist ja kein Datingportal. Es muss rüber kommen: Ich bin sympathisch, kann mit Menschen, mich durchsetzen. Ihr könnt mir vertrauen, dass ich Eure Aufgaben gut bewältigen kann.
Wenn ein Arbeitgeber jemanden einstellt, muss er das Gefühl haben, dass er keinen Fehler macht. Dafür hilft es, über erste Berufserfahrungen hinaus, weitere gute und wichtige Informationen in das Profil einzustellen. Kontaktdaten sollten zu finden sein, Arbeitsproben können verlinkt werden.
Was soll nicht ins Profil?
HA: LinkedIn und XING sind überwiegend B2B-Plattformen. Sie sind für Menschen, die im Berufsleben oder als Unternehmer unterwegs sind. Hin und wieder darf man aber auch etwas Persönliches schreiben, nur bitte nicht das „Seepferdchen“ oder andere Sachen, die nicht zum eigentlichen beruflichen Fokus gehören. Privates gehört auf private Plattformen, Berufliches rund um Karriere und Job auf LinkedIn und Co.