Wie wir nach dem Corona-Trauma wieder ins Gespräch kommenÂ
Das Virus hat viel mehr in unserer Gesellschaft angerichtet als das, worüber täglich berichtet wird. Auch in der Kommunikation hinterlässt Corona eine Krise. Trauer, Wut und Unsicherheit haben sich tief in aktuelle Debatten gefressen, und von dort aus in unseren täglichen Umgang miteinander. Nicht nur unser Organismus, auch unsere Gespräche müssen heilen. Drei Impulse für die Rückkehr zum Dialog
Seit über zwei Jahren schmerzt mein inneres Ohr. Obwohl die Ärztin nichts gefunden hat, bin ich mir sicher: Das ist eine Corona-Nebenwirkung, und eine langfristige dazu. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir Deutschen, wir Europäerinnen, wir Menschen zu meinen Lebzeiten schon einmal so schlecht miteinander umgegangen wären. Was wir gerade erleben, ist eine Sinnkrise der Demokratie – und zwar eine, die sich ganz konkret auf unsere Lebensweise auswirkt. Die können wir nicht einfach abhaken. Denn genau das, was die erbitterten Auseinandersetzungen schützen sollen, geht darüber kaputt: unser Sinn für Gemeinschaft in Freiheit. Wir müssen wieder zusammenfinden und den Dialog wieder aufnehmen. Die Frage ist: Wie stellen wir das an?
1. Neu zuhören lernenÂ
Zuhören zu können ist die wichtigste Dialogkompetenz von allen. Die Momente, in denen man in einem Gespräch nichts sagt, sind für die Verständigung oft die wichtigsten. Deshalb sind es auch die anspruchsvollsten. Um eine Gesprächspartnerin (oder ein paar Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger) richtig zu verstehen, muss man für die Dauer des Zuhörens das eigene Ego suspendieren.
Zu oft hören wir nicht zu, um zu verstehen; wir hören zu, um zu erwidern. Während der Impfgegner spricht, denkt sich die Impfbefürworterin nicht etwa in das Gesagte hinein und sucht nach Anknüpfungspunkten. Vielmehr ist sie mit ihren inneren Widerständen beschäftigt und davon vereinnahmt, eine Retourkutsche zu formulieren. Die hat mit den Äußerungen des Gegenübers dann auch oft nicht viel zu tun: „Was verstehst du schon von Medizin!“ – „Du glaubst auch jeden Mist!“
Sich die inneren Widerstände, die den Adrenalinpegel hochschnellen lassen, bewusst zu machen, kann bereits sehr viel verändern. Wenn man weiß, dass sie da sind und was sie reizt, kann man sie bändigen lernen – und mehr von dem hören, was verbindet. Plötzlich entdeckt man Brücken, für die man vorher blind war. Der vollkommen wahnsinnige Impfgegner hat auch Kinder und genauso viel Angst um sie. Und die naive Impf-Mitläuferin will gar nicht von Bill Gates versklavt werden, sondern nach anderthalb Jahren ihre kranke Mutter wiedersehen.
2. Prozesshaftigkeit von Beziehungen akzeptieren Â
Für einen offenen Dialog braucht es die Bereitschaft, Meinungsverschiedenheiten zu tolerieren – als Bestandteil einer gesunden Beziehung und einer gesunden Gesellschaft. Klar, in den letzten Jahren ist viel Porzellan zerschlagen worden. Da ist es leicht(er), sich in die vermeintliche Sicherheit „klarer Verhältnisse“ zu retten und Brücken einzureißen, die nicht mehr tragfähig scheinen.
Was wir in solchen hitzigen Debatten vergessen ist, dass in keiner Beziehung immer Einigkeit herrscht. Beziehungen sind immer under construction. Wer sich darauf nicht einlassen mag, kann auf Dauer keine führen. Die Pandemie hat uns mit erschreckender Deutlichkeit vor Augen geführt, wie schnell Beziehungen sich negativ entwickeln können, um nicht zu sagen: den Bach runtergehen. Doch genauso schnell können sie sich auch wieder positiv entwickeln.
Nichts ist in dieser Hinsicht wirkungsvoller als eine aufrichtige Entschuldigung. Nicht dafür natürlich, dass man anderer Meinung ist und das auch ausgesprochen hat, sondern dafür, wie man gesagt hat, was man gesagt hat. Eine aufrichtige Entschuldigung besteht aus drei Schritten: 1. Reue, 2. Empathie, 3. einem Plan. Im Falle zweier Nachbarn, die sich über die Corona-Maßnahmen zerstritten haben, könnte das zum Beispiel so aussehen: „Es war respektlos von mir, dich einen Covidioten zu nennen. Das hat dich bestimmt wütend gemacht. Wenn wir das nächste Mal zusammen einen Wein trinken, lasse ich dich ausreden, versprochen.“
3. Unterschiede aushalten und respektierenÂ
Das „Ende“ von Corona wird nicht das Ende unserer Probleme sein. Potenzial für Dispute wird es immer geben. Wir müssen lernen, besser damit umzugehen. Denn Spaltungen in der Dimension einer Corona-Debatte hält unsere Gesellschaft nicht unbegrenzt oft aus.
Wie wahrt man über Differenzen hinweg den Respekt voreinander? Wie bleibt man im Gespräch, auch wenn man gegensätzlicher Meinung ist? Die Antwort ist beinahe so alt wie die Rhetorik: indem man beim Diskutieren Sach- und Beziehungsebene trennt. Menschen, die sich über Unterschiede und sogar Gegensätze verständigen können, sind schwer zu trennen. Dialogfähigkeit ist das Rüstzeug, mit dem sich Krisen überwinden lassen. Und das ist genau das, was wir jetzt brauchen.
Zum Scheitern verurteilt sind Beziehungen und Gesellschaften erst, wenn es gar keinen gemeinsamen Nenner mehr gibt. Für alles andere gibt es eine Lösung. Man muss allerdings noch miteinander reden können, um sie zu finden. Können wir?Â
Redend heilen: Drei Impulse für die Rückkehr zum MiteinanderÂ
Argumente können uns trennen, aber der Diskurs kann uns wieder zusammenführen. Hier noch einmal drei Wege, den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen, auf einen Blick:
- Besser zuhören: Verständigung beruht auf Gemeinsamkeiten – doch die überhört man, wenn man sich von inneren Widerständen vereinnahmen lässt.
- Entwicklung zulassen: Beziehungen sind immer under construction. Die Bereitschaft, zu verzeihen, und die Fähigkeit, sich aufrichtig zu entschuldigen, wirken stabilisierend und bindend. Â
- Unterschiede aushalten: Ein kontinuierlicher Dialog beruht auf einer respektvollen Haltung. Wer andere Menschen in ihrer
Eigenständigkeit achtet, darf ihnen auch widersprechen.
Kommen Sie gut an!
Ihr René Borbonus