Schon mal von Compliance gehört? Rangiert für viele irgendwo zwischen Polizei und Miss Marple und scheint – ohne nähere Betrachtung – erstmal überflüssig. Einhalten von Regeln in Unternehmen – oft mit persönlicher Einschränkung bis hin zu tumbem Gehorsam verwechselt. Aber sich dann in der Kaffeepause genüsslich-empört über Regelverstöße in großen Unternehmen in der Zeitung aufregen! „Das gibt’s doch nicht!“ „Wie kann denn so was passieren?“ „Haben die überhaupt keinen Anstand?“ Na, Lust, mal hinter die Kulissen zu blicken?
Nehmen wir einmal die Lupe zur Hand und blicken exemplarisch in den Produktionsbereich eines x-beliebigen Unternehmens, nennen wir es die „0815 GmbH“: Hier arbeiten 120 Beschäftigte in drei Schichten. Die Arbeit ist körperlich anstrengend, man kennt sich lange, es gibt wenig Wechsel der Mitarbeitenden. Vor einigen Monaten wurde ein neuer Produktionsprozess eingeführt. In letzter Zeit häufen sich Diebstähle sowie Beschädigungen von Firmeneigentum. Diese werden teils zufällig entdeckt, teils haben einige Mitarbeitenden einzelne Vorfälle direkt an die Vorgesetzten gemeldet. Nach interner Beratung unter den Führungskräften, die schon mehrfach Schulungen von der Compliance-Abteilung erhalten haben, melden sie die Vorfälle zur neutralen Untersuchung an die Hinweisgeber-Hotline. In der Compliance-Abteilung stoßen diese Meldungen den internen Untersuchungsprozess an.
Aha, also aus Sicht der Mitarbeitenden bietet das Unternehmen Wege, um Dinge, bei denen man „ein komisches Bauchgefühl hat“, vertraulich zu melden, damit sich jemand Neutrales damit befasst. Hatte nicht der Meister letztens zum Thema Vertraulichkeit und Schutz des Hinweisgebers ein Video gezeigt? Und im Pausenraum hängt doch dieses Poster zum Thema „Respektvoller Umgang miteinander“?
Als Compliance-Verantwortliche:r erst mal alles richtig gemacht: Offenbar wurden Richtlinien, idealerweise sogar ein Verhaltenskodex fürs Unternehmen etabliert. Doch genauso wichtig wie das Vereinbaren und Aufschreiben von Regeln ist es, die Themen zu vermitteln, d.h. mit allen Mitarbeitenden, und gemeint sind wirklich ALLE, darüber zu sprechen, inwiefern diese Regeln für jede und jeden Einzelnen relevant sind. Und Relevanz heißt zu verstehen, wie die Vorgaben in eigenes Handeln umgesetzt werden können.
Als Compliance-Verantwortliche:r muss man „Gesicht zeigen“, sich als Mensch erkennbar machen, um Vertrauen aufzubauen. Und genauso – wenn nicht sogar noch wichtiger – ist es, die Möglichkeiten des Dialoges aufzuzeigen. Mit wem kann ich als Mitarbeitende:r sprechen, wenn ich eine Frage habe oder mir etwas merkwürdig vorkommt? Was passiert dann mit mir? Was passiert mit dem Kollegen, über den ich berichte? Wird meine Führungskraft über meinen Hinweis unterrichtet? Fragen über Fragen, die unausgesprochen die Entscheidung für oder gegen eine Meldung zu einem Regelverstoß begleiten.
Doch kommen wir zurück zur „0815 GmbH“. Die Untersuchungen sind abgeschlossen, einzelne Mitarbeitende wurden sanktioniert. Nun soll mit allen Beschäftigten im Bereich an der Kultur im Team und Gründen für dieses Verhalten gearbeitet werden. Gleich im ersten Treffen kommt mit voller Breitseite die Frage aller Fragen: „Sagen Sie mal, was ist das eigentlich, diese Kom-pli-anze?“
Als Trainer:in für Compliance-Themen denken Sie sich vielleicht in diesem Moment: „Muss ich hier bei Adam und Eva anfangen? Das ist doch sonnenklar!“ oder „Aha, ich muss also noch einige Schritte früher ansetzen.“ oder „Daaaaaanke für diese wundervolle Frage!!!“ Denn diese tiefgreifende, in ihrer Schlichtheit geradezu anarchische Frage gibt dem/der Compliance-Verantwortlichen quasi das Geschenk in die Hand, grundsätzlich über Regeln im Leben eines Menschen zu sprechen.
Egal, ob als Führungskraft, Expert:in in einem Fachgebiet oder Trainer:in für Compliance-Themen: Gehen Sie immer erst einmal davon aus, dass Sie über mehr Wissen verfügen als die Personen, zu denen Sie sprechen. Wie versetze ich mich aber in die Position meines Publikums, das nicht über dieses Wissen über Inhalte und Zusammenhänge verfügt? In der Pädagogik spricht man auch vom „Fluch des Wissens“. Im Dialog zu Compliance-Themen MUSS ich an die Lebenswelten der Zielgruppe anknüpfen, um den Einstieg zu finden, was „dieses Kom-pli-anze“ – für jede und jeden Einzelnen!!! – bedeutet.
„Was bestimmt, wie Sie sich verhalten, wenn Sie beim Sport sind?“ „An welche Regeln haben Sie sich gehalten, als Sie mit dem Auto heute Morgen zur Arbeit gefahren sind?“ „Nach welchen Regeln führen Sie Ihre Arbeit aus?“ Und – zack! – bin ich mittendrin in der Erkenntnis, dass „diese Kom-pli-anze“ ja schon wesentlicher Teil meines Lebens ist – ich habe es bisher nur nicht so genannt. Was für ein großartiges Gefühl: Ich kenne das Thema schon! Darauf kann ich aufbauen!
Und ja, jetzt kommen ein paar Regeln dazu. Die aber nicht dazu da sind, um die Beschäftigten zu nerven, sondern um das Miteinander möglich und auch angenehm zu machen, um äußere Rahmenbedingungen (Gesetze, industrielle Standards etc.) in ein Verhalten im Unternehmen zu übersetzen, um Mitarbeitende in ihrer Handlungssicherheit zu unterstützen und letztlich das Unternehmen abzusichern.
Der Tag neigt sich dem Feierabend zu. Gratulation! Sie haben Ihren ersten Tag als Compliance-Verantwortliche:r gemeistert! Und Sie sehen, es geht bei weitem nicht um die Arbeit im stillen Kämmerlein, den Rücken gebeugt über trockene Regularien, mit denen man die Belegschaft nerven kann, oder um spektakuläre Ermittlungsarbeit. Im Wesentlichen geht es bei „dieser Kom-pli-anze“ darum, den Sinn und die Bedeutung von Regeln und Prozessen für alle Mitarbeitenden zu vermitteln. Compliance schafft den Rahmen, will Handlungssicherheiten im Alltag herstellen und integres Verhalten fördern – ganz nah beim Menschen.
„Mein Sohn, sey mit Lust bey den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, dass wir bey Nacht ruhig schlafen können.“ (Zitat aus Buddenbrooks: Verfall einer Familie (1901), Thomas Mann)