Mehr als überzeugen
Wie Sie mit Storytelling Handlungsimpulse erzeugen
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Manche Referate während meines Studiums habe ich so richtig gern gehalten. Da war das Referat mehr als nur eine Pflichtübung: Ich wollte meine Begeisterung teilen und meine Kommilitonen damit anstecken.
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Bei all den Referaten, die Sie im Laufe Ihres Studiums so halten: Wäre es nicht angenehm zu wissen, dass die wichtigen davon Ihre Kommilitonen und Dozenten nicht ‚nur‘ überzeugen und inspirieren, sondern sie tatsächlich ins Handeln bringen können?
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Eines der effektivsten rhetorischen Mittel, um Menschen ins Handeln zu bringen, ist Storytelling – und zwar bei jedem nur erdenklichen Thema.Â
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Die Geschichte vom kleinen Ben
Der amerikanische Neurobiologe William Casebeer und der Neuroökonom Dr. Paul J. Zak haben das in einer Studie nachgewiesen. Sie zeigten ihren Probanden im Labor die Geschichte vom kleinen Ben, erzählt aus der Perspektive seines Vaters:Â
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Ben ist zweieinhalb Jahre alt und hat einen Hirntumor. Er hat in seinem kurzen Leben mehr Zeit in Krankenhäusern verbracht als zu Hause. Während sich andere Kinder auf dem Spielplatz austobten, war Ben meist ans Bett gefesselt und hat Chemo- und Bestrahlungstherapien über sich ergehen lassen.
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Doch Ben ist glücklich. Nach all den Therapien fühlt er sich gut. Er darf das Krankenhaus verlassen und für einige Zeit ein fast normales Leben führen, wie ein kleiner Junge es sich wünscht: Er kann im Garten spielen, mit seinem Vater toben und einfach Kind sein. Ben sieht sich nicht als „den krebskranken Jungen“. Er sieht die Freiheit, das grüne Gras, fühlt die Sonnenstrahlen auf seiner Haut. Was für andere Kinder normal ist, ist für Ben etwas Besonderes. Deshalb ist Ben ein fröhlicher kleiner Junge.
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Bens Vater, der die Geschichte erzählt, versagt an diesem Punkt die Stimme. Denn er weiß etwas, das Ben nicht weiß und nicht verstehen würde: Es gibt keine Heilung für ihn. Ben wird sterben. Wahrscheinlich hat er nur noch einige Monate zu leben.
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Die Neurochemie des Storytelling
Die Geschichte von Ben erzeugt bei den Zuhörern – bestimmt auch bei Ihnen – vor allem zwei Gefühle: Bedrückung und Empathie. Casebeer und Zak untersuchten die Wirkung der Geschichte mit unterschiedlichen neurowissenschaftlichen Methoden.
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Durch die Untersuchung des Blutes ihrer Probanden fanden sie heraus, dass die Geschichte Kortisol und Oxytocin freisetzte. Kortisol fokussiert unsere Konzentration; je mehr davon die Probanden ausschütteten, desto bedrückender nahmen sie die Geschichte wahr und gaben sich ihrer Traurigkeit hin. Oxytocin ist im Gehirn für das Beschützen, das Gefühl von Verbundenheit und Empathie zuständig. Je mehr Oxytocin die Probanden produzierten, desto mehr Mitgefühl empfanden sie.
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Doch damit nicht genug: Die beiden Botenstoffe lösten bei den Probanden nicht nur Gefühle, sondern auch Handlungsbereitschaft aus. Die Forscher gaben den Teilnehmern, nachdem sie die Geschichte gehört hatten, die Möglichkeit, ihre finanzielle Entschädigung für die Teilnahme am Experiment mit Fremden zu teilen, die ebenfalls im Labor anwesend waren. Und tatsächlich: Diejenigen Probanden, in deren Blut sowohl Kortisol als auch Oxytocin nachgewiesen werden konnte, zeigten sich dabei großzügiger als die, bei denen das nicht der Fall war. Mehr noch: Die ausgeschüttete Menge von Kortisol und Oxytocin ließ Rückschlüsse darüber zu, wie viel Geld die Probanden abzugeben bereit waren – ein Effekt, den die Forscher in weiteren Experimenten überprüften und nachweisen konnten.
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Damit erbrachten sie den Beweis: Storytelling kann tatsächlich das Verhalten unserer Zuhörer beeinflussen, indem es Einfluss auf die neurochemischen Reaktionen unseres Gehirns nimmt.
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Spannung macht uns handlungsÂbereit
Eine Geschichte muss jedoch eine wichtige Bedingung erfüllen, um das Publikum tatsächlich zum Handeln zu Âbewegen: Ein wesentliches Qualitätsmerkmal wirksamen Storytellings ist der Spannungsbogen. Eine weitere Geschichte von Ben und seinem Vater, bei der die beiden einen Zoo besuchten und es keinerlei Spannungsverlauf gab, führte bei den Probanden nicht zu den oben beschriebenen Reaktionen.
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Der Begriff „Spannungsbogen“ stammt vom deutschen Schriftsteller Gustav Freytag (1816-1895) und beschreibt, wie der Name schon sagt, einen bogenförmigen Spannungsverlauf:
- Exposition (Einleitung)
- Steigende Handlung mit erregendem Moment (Spannungsaufbau)
- Höhepunkt und Peripetie (plötzliche Wendung, Überraschung)
- Fallende Handlung mit retardierendem Moment (Verzögerung im Handlungsverlauf, um die Spannung zu halten)
- Katastrophe (oder, wenn es sich nicht um ein Tragödie handelt: Auflösung)
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Betrachten Sie einmal, wie ich Ihnen oben die Geschichte von Ben präsentiert habe: Alle genannten Elemente sind in dieser kurzen Story enthalten. Durch bewegendes Storytelling entsteht bei Ihren Zuhörern eine Verbindung – mit den Protagonisten, mit der Botschaft und mit Ihnen als Redner. Und je stärker die Gefühle, desto größer die Handlungsbereitschaft, die die Story erzeugt.
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Handlungsimpulse durch Storytelling: So geht es
Folgende Tipps helfen Ihnen, in Seminarreferaten, bei Vorträgen in Studentengremien oder wo auch immer Sie vor anderen sprechen, mit Ihren Geschichten Handlungsbereitschaft zu erzeugen:
- Denken Sie schon bei der Vorbereitung auf Ihren Vortrag darüber nach, welches Verhalten/welche Handlung Sie bei Ihrem Publikum fördern wollen.
- Überlegen Sie, welche Gefühle geeignet sind, dieses Verhalten zu begünstigen.
- Wählen Sie eine Geschichte aus, die geeignet ist, dieses Gefühl zu erzeugen. Nicht jedes Gefühl ist geeignet, Handlungsbereitschaft zu erzeugen; Empathie ist ein besonders starker Handlungstreiber.
- Beschreiben Sie Ihre Protagonisten so, dass das Publikum sich mit ihnen identifizieren kann und sie verstehen will.
- Erzählen Sie die Geschichte anhand der fünf Elemente des dramatischen Spannungsbogens.
- Setzen Sie am Ende Ihrer Rede unbedingt einen direkten Handlungsimpuls, indem Sie ein konkretes Verhalten vorschlagen.
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Kommen Sie gut an!
Ihr René Borbonus